Landschaft entsteht ... und vergeht
Landschaft verändert sich stetig
Für menschliche Zeitbegriffe scheint eine Landschaftsform unveränderlich. Es kommt aber immer wieder vor, dass da und dort eine Veränderung stattfindet, meist sind es Rutschungen, Felsstürze oder Auffüllungen nach Überflutungen.
Eine diesbezüglich sehr aktive Zone auf dem Gemeindegebiet von Speicher ist das gesamte Gebiet am Ufer und an den Hängen der Goldach. Grosse Teile von Speicherschwendi verschieben sich fast unmerklich aber unaufhörlich hangabwärts (she. auch: Gefahrenkarte 2025). Verschiedene Häuser stehen längst nicht mehr im Lot, ein Zeichen, dass der Baugrund sich - ungleichmässig - bewegt. Ein ebenso deutliches Zeichen für langsame Rutschungen sind schief stehende Bäume, vor allem in Wäldern an einem Hang.
Deutlich und für alle sichtbar sind Hangrutsche nach Unwettern, wie beispielsweise am 31. Aug./1. Sept. 2002. Die Wiederherstellungsarbeiten erforderten grosse bauliche und finanzielle Anstrengungen (Hangsicherungen, Entwässerungsleitungen, Stützmauern, Aufforstungen etc.)
Zeichen in der Landschaft
Auch in Speicher finden sich Zeichen, welche Hinweise auf die Entstehung der Landschaft geben. Typische Zeichen von besonderer diesbezüglicher Bedeutung heissen „Geotope.“
Geotope sind Bestandteile der Landschaft, welche die Geschichte der Erde, des Lebens und des Klimas in besonders typischer oder anschaulicher Weise dokumentieren. Dank ihrer besonderen Ausstattung und Ausprägung spielen sie eine Schlüsselrolle für das Verständnis der erdgeschichtlichen Zusammenhänge und für das Entstehen und die Veränderungen einer Landschaft.
Für die Gegend um Speicher sind hauptsächlich die folgenden Vorgänge landschaftsbestimmend:
- die Molasseschüttungen in die alpine Vorlandsenke: Molasse ist Abtragungsschutt aus den entstehenden Alpen. Der Ablagerungsschutt (Geröll, Sand, Silt, Tone) füllte Meeresteile, resp. Seen im Gebiet des heutigen schweizerischen Mittellands. Dieser Prozess begann vor rund 40 Mio. Jahren und dauerte rund 35 Mio. Jahre an. Meeresmolasse besteht aus Mergel (Mischgestein aus Kalk und Ton), Sandstein, Silt oder Ton. Süsswassermolasse ist grobkörniger Sandstein oder auch Nagelfluh.
- die kaltzeitlichen Vergletscherungen des Alpenvorlandes (Eiszeiten der letzten 2 Mio. Jahre) mit einerseits Ausschürfungen (U-Talbildungen, Kare) und andrerseits Ablagerungen (Moränen) von Lockergesteinen (Schotter, Kies, Sand …)
- die nacheiszeitliche Reliefentwicklung durch Erosionsvorgänge und Ablagerungen (Auswaschungen, Hangrutsche, Felsstürze, Absenkungen …). Diese Vorgänge dauern noch an.
Geotope
Inaktive oder aktive Geotope
Je nach dem, ob die prägenden Prozesse abgeschlossen oder noch im Gang sind, handelt es sich um inaktive oder aktive Geotope.
Beispiele von Geotopen
Aufschlüsse von Gesteinsformationen mit erdwissenschaftlich wertvollen Gesteinsstrukturen, Fossil- oder Mineralbeständen; landschaftsgeschichtlich wertvolle Geländeformen wie Kare, Moränenwälle, usw.; aktive Landschaftszellen wie Schluchten, Dolinen, Karrenfelder usw.
Geotope in Speicher
Die im Geotopinventar AR ausgewiesenen Geotope gewähren Einblicke ins erdgeschichtliche Geschehen. Sie dokumentieren Vorgänge, die für das Entstehen und die heutige Ausprägung der appenzellischen Naturlandschaften von grundlegender Bedeutung sind. Speicher liegt im Bereich der subalpinen und mittelländischen Molasse mit eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Ablagerungen.
Im Geotopinventar des Kantons Appenzell Ausserrhoden sind in Speicher der Glazialkomplex mit Gletschertöpfen im Chastenloch (18, 19) sowie die Karmulde im Horst (20) aufgeführt.
Glazialkomplex "Chastenloch"
Es handelt sich um einen landschaftsgenetischen Schlüsselbereich, das heisst, die Vorgänge, die die Landschaft formten, zeigen sich beispielhaft an folgenden Merkmalen:
- markanter Moränenwall und Zungenbeckenrelikt des Goldachgletschers beim Brändli;
- Felsriegel mit Rundhöckern und Findlingen aus dem Rhein-Einzuggebiet;
- Gletscherschliff-Flächen;
- unter dem Gletscher liegende Entwässerungsrinnen mit Gletschermühlen und Strudellöchern;
- Talverbauungen mit aktiven Epigenesen (Entstehung neuer Formen) am Unterlauf des Moos- und des Säglibaches;
- aufgeschlossene Scherflächen der Goldachstörung mit quaderförmigen Felsausbrüchen.
Gletschermühlen "Chastenloch"
Strudeltöpfe und z.T. riesige Gletschertöpfe im Felsbett der Goldach (ehemals subglaziäre Schmelzwasser- Abflussrinne des Goldachgletschers).
Gletschertöpfe bilden sich durch Schmelzwasser, das durch Gletscherspalten und Gletschermühlen zum Gletscherbett hin abfliesst. Infolge hohen Drucks des Eises und hoher Fliessgeschwindigkeit des Schmelzwassers entstehen vielerorts starke Wirbel. Der mit dem Schmelzwasser mitgeführte Sand und feiner Kies höhlen das Felsbett aus, die Erosion kommt in Gang. Am Rand von Wasserläufen sind solche Gletschertöpfe sogar heute noch sichtbar.
Karmulde "Horst-Speicher"
Als Kar bezeichnet man kesselförmige Vertiefungen, die Kurzgletscher in einen Hang „graben.“ Die Karmulde Horst ist ein typisches, markantes Kar. Die Karstufe mit Frontwall stammt aus der Zeit, als der Rheingletscher bis Stein am Rhein reichte (vor rund 23’000 Jahren). - Die Hochzone Birt bildet zusammen mit Rundhöckern und Eisrandterrassen die höchstliegenden Zeugen der Würmeiszeit (120’000 bis 10’000 v. Chr.) im nördlichen Appenzellerland.
Eiszeiten
Alle Eiszeiten haben ihre Spuren hinterlassen. Jede Eiszeit hat die Spuren der Vorgängereiszeit(en) „verwischt“. Die oben erwähnten Spuren stammen von der sogenannten Würmeiszeit (ca. 120’000 bis etwa 10’000 v. Chr.). Der Rheingletscher füllte damals das ganze Rheintal, quoll über St. Anton und Ruppen ins Goldachtal und endete bei Stein am Rhein. Grosse Felsbrocken, die er mit sich führte, wurden auf der ganzen Länge des Gletschers, hauptsächlich am Rand, als erratische Blöcke (Findlinge) abgelagert, wie der Findling (Sandstein), gefunden 2003 bei der Erstellung des Kunstrasenplatzes Buchen in Speicher. Er stammt wohl aus der Gegend des Ruppens zur Zeit des Höchststandes der Würmeiszeit als der Rheingletscher auch das Goldachtobel noch bedeckte.
Als sich der Rheingletscher wieder zurückzog, riss am Ruppen die Eisverbindung zwischen Goldachtobel und Rheintal, so dass noch während einiger Zeit ein „Goldachgletscher“ das Goldachtobel füllte. Mit dem weiteren Abschmelzen entstand in der Gegend von Speicher ein Gletscherrandsee, Seegrundablagerungen und Torf sind davon Zeugen.
Die Kartenausschnitte des Bundesamtes für Landestopografie swisstopo, Wabern, zeigen die Schweiz während des letzteiszeitlichen Maximums. Der Geokartenausschnitt zeigt, dass der Gäbris, die Hohe Buche und auch das Birt (Horst) zur Zeit des Höchststandes des Gletschers (25’000 Jahre vor heute) eisfrei waren.
Quellen
Bundesamt für Landestopografie swisstopo: Karte "Die Schweiz während des letzteiszeitlichen Maximums (LGM)" 1:500'000
KELLER, O., NAEF, H., STÜRM, B. 2007: Geotopinventar Kantone Appenzell Inner- und Ausserrhoden.
St. Gallische Naturwissenschaftliche Gesellschaft (NWG)
Geoportal AR, abgerufen am 31.1.2025