Gschwende Jöck - ein Dorforiginal

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Gschwende Jöck mit Ochsen

Jüngere Einwohner Speichers haben es nicht mehr miterlebt, wie Jakob Gschwend, auch "Gschwende Jöck" genannt, mit seinem Ochsengespann irgendwelche Transporte ausführte oder Schnee pflügte. Es hat damals grossen Eindruck gemacht und prägte das Dorfbild Speichers, wenn er mit seinen gewaltigen Ochsen durch die Strassen zog, aufwärts, abwärts - immer im gleichen ruhigen Schritt.

Ochsenfuhrmann ohne Hektik

Der kleine Fuhrmann mit pfiffigen Gesicht, hellen Augen, krausem Haar und stets eine Pfeife oder eine krumme "Brissago" im Mund wurde am 6.11.1906 geboren. In seinem schönen alten Bauernhaus im Bendlehn wohnte er mit seinen Schwestern zusammen, mit dem Hund "Bär" und den Katzen. Im Stall standen bis zu 5 Ochsen, die mit ihren riesigen Hörnern nur schwer zur Stalltüre hinein- oder hinausfanden. Regelmässig kaufte er junge Ochsen, das waren halbjährig kastrierte Stiere, um die alten oder schwächeren Tiere zu ersetzen. Die Ochsen bekamen in der Schmitte Klaueneisen gegen die Abnutzung der Klauen auf gekiesten oder geteerten Strassen. Im Gegensatz zu Pferden, bei denen die Eisen aufgebrannt werden, beschlug man die Ochsen kalt.

Sein Arbeitstempo richtete sich nicht nach der Uhr, sondern nach seinen Tieren. Hektik war für Jöck ein Fremdwort. Dabei transportierte er mit seinen Ochsen auch Sachen über grössere Distanzen, etwa nach Rehetobel, Teufen oder nach St. Gallen. Da er über genügend Aufträge verfügte, konnte er mit dem Italiener Karl Monti einen Knecht anstellen, der ebenfalls mit einem Ochsen unterwegs war und mithalf die Tiere zu pflegen.

Wie viele andere "Dorforiginale" hatte Jöck neben seiner listig schrulligen Art, auch seine ruppige Seiten. Diese kamen - für Leute aus dem Dorf immer wieder sichtbar - vor allem, aber nicht nur, gegenüber seinem Knecht zum Ausdruck. Obwohl immer freundlich zu jedermann, hatte dieser viel Zurückweisung zu ertragen und lange und anstrengende Arbeitstage durchzustehen. Ein Lob von Seiten seines Meisters war wohl so selten wie ein Trinkgeld, wenn der Arbeitstag einmal länger wurde. Karl Monti verbrachte seinen Lebensabend im Altersheim Schönenbühl.

Allerlei Aufträge

Als Fuhrhalter besass Jöck diverse Gefährte mit Eisen- oder Gummibereifung, die er je nach Art des Auftrages einsetzte. Jöck’s Fuhren konnte noch so schwer beladen sein mit Holz aus der Sägerei, Heu für Bauern oder mit riesengrossen Fässern aus der Mosterei: der Strassenverkehr brachte ihn nicht aus der Ruhe. Und als der Autoverkehr immer mehr zunahm, musste er sein Fuhrwerk etwas zur Seite lenken und dann selbst unter den mächtigen Hörnern seiner Ochsen Schutz suchen. Obwohl sein Gespann fast furchterregend gross war, hatte man das untrügliche Gefühl, dass er sei bei seinen Tieren wohl geborgen war, als könne man ihm nichts antun.

Hansueli Gschwend erinnert sich an seinen Vetter Jöck:

Winterarbeit

Pfaden beim Rebstock
Harte Arbeit

Und erst im Winter! Es war wie ein Bild aus längst vergangener Zeit, wenn er — oft mit drei oder sogar vier Ochsen vor dem breiten Schneepflug — die Strassen frei pfadete. Er sagte nicht Pflug, sondern nach alter Väter Art "Schiff", welches von einem 2. Mann hinten gesteuert werden musste. Es gab ein kleines und ein grosses Schiff, musste er doch breite und schmale Gemeindestrassen "uftue". Wenn es schneite, hatten er und Monti oft den ganzen Tag zu tun. Und bei grossem Schnee wurden zusätzlich 2 Pferde von Pferdefuhrhaltern vor seine Ochsen gespannt. Man konnte ihm beim Einnachten begegnen, wenn er von der Schwendi heraufkam.

Seine Tiere liess er von Zeit zu Zeit ausruhen. Er selbst musste sich auch ein wenig aufwärmen, und so sah man denn seine Ochsen vor einem Wirtshaus stehen, geduldig und stumm auf den Meister wartend, der in der Gaststube sass und erzählte, was ihm so auf seinen Wegen passierte. Jöck war kein Schwätzer, er ging eher still seine Wege. Unter Freunden jedoch wurde er gesprächig, und man hörte ihm gerne zu.


Lastwagen sind schneller

Doch eines Tages war es vorbei mit der Fuhrhalterei. Die Motorfahrzeuge eroberten die Strasse, denn das Ochsengespann war zu langsam... und Gschwende Jöck wurde älter.
Statt des "Hü" und "Hott" ertönen die starken Motoren der Schneeräumungsmaschinen und anstelle der grossen starken Tiere und ihres "kleinen" Meisters, sieht man das rotierende Licht auf den Lastwagen. Heute muss alles schnell gehen; denn auch beim grössten Schneefall wollen die meisten mit ihren Autos wie gewohnt ausfahren, und so sausen denn die Schneepflüge wie der Sturmwind durch die Strassen; ja selbst das geht vielen noch zu langsam.

Lebensabend

Jöck verkaufte seine geliebten Tiere, eines nach dem andern.
Silvia Schittli erzählt, wie er zwei Ochsen vor dem Abliefern wiegen liess:

Trotzdem beklagte er sich nicht. Es sei so der Lauf der Zeit, meinte er. Seine Zug - und Transportmethode, fast so alt wie die Menschheit, hatte keinen Platz mehr.
"E chli puure", den Nachbarn zu Hilfe eilen, wenn es nötig war, das konnte er immer noch. Über den Hag gelehnt ein wenig plaudern, einen trockenen Witz erzählen, etwas aus seiner reichen Erfahrung berichten, dafür fand er immer Zeit und dankbare Zuhörer. Wer Gelegenheit hatte, etwas länger mit Gschwende Jöck zu reden, entdeckte die Persönlichkeit, die innere Grösse dieses kleinen Appenzellers und den feinen Humor.

Dann wurde er krank. Ein Schlaganfall hatte seine Lebenskraft gebrochen. Die letzten Monate verbrachte er im Spital und im Krankenheim.
Jakob – Jöck – Gschwend starb 75-jährig am 14.1.1982


Text: Paul Hollenstein
Quelle:Appenzeller Zeitung, Januar 1982
Video: Paul Hollenstein 2025, Peter Abegglen 2016
Fotos: Hans Merz, Paul Hollenstein, Edy Tanner, George Bruderer, Karl Bräuninger