Fässler Samuel - Volljaquardweber: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 8. November 2025, 11:13 Uhr
Volljaquardweber aus Passion
Samuel Fässler war einer der letzten Volljacquardweber in Ausserrhoden. Geboren am 6. Juli 1886 in Speicher, arbeitete er sein ganzes Leben lang in der Textilindustrie. Weben war für ihn Passion, Arbeit und Freizeitbeschäftigung. So hat er teils vor, aber auch nach der Pensionierung im Webkeller in Heimarbeit gewoben. Das Ehepaar Samuel und Marie Fässler-Lanker hatte 5 Kinder.
Vielfältige Berufserfahrung
Samuel muss ein aufgeweckter Junge gewesen sein, erteilte ihm doch der Pfarrer nach dem Kirchenbesuch jeweils Stenografieunterricht. Dennoch: Eine Lehre blieb ihm aus finanziellen Gründen - damals musste noch ein Lehrgeld an den Lehrmeister entrichtet werden - verwehrt. Er trat 1906 in die Firma Schefer & Co. in Speicher ein, wo er es dank rascher Auffassungsgabe innerhalb von zwei Jahren zum zweiten Webermeister brachte. Er wechselte darauf nach Gais zur Firma Lendenmann, der er - mit einem kleinen Unterbuch in den Krisenjahren - während 30 Jahren die Treue hielt. In der kurzen Zeit, in der es ihn wegen Arbeitslosigkeit in den Thurgau verschlug, war er nicht glücklich und packte die erste Gelegenheit, um wieder in die Heimat zu kommen. 1938 fand er bei Schläpfer & Co. in Teufen Arbeit. Als 66jähriger wechselte er 1952 nochmals seine Stelle und arbeitete bis 1968 für Kündig & Styger in Stein.
Auf und Ab der Textilindustrie
Samuel Fässler erlebte während seiner über 60-jährigen beruflichen Tätigkeit alle Höhen und Tiefen der Textilindustrie. Die Firma Schefer in Speicher war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der grösste Arbeitgeber im Kanton. Die Textilindustrie und damit auch die Weberei erlebten eine ungeahnte Blütezeit. Obwohl Samuel Fässler bei seinen Arbeitgebern mit Web- resp. Stickmaschinen zu tun hatte, faszinierten ihn die von Hand zu betätigenden Vorgängerapparate, nämlich die Webstühle, genauer die Volljacquardwebstühle.
Mit einem Volljacquardwebstuhl konnte gleichzeitig gewoben und gestickt werden. Eine sogenannte Plattstichlade als Zusatzeinrichtung machte es möglich, das entstehende Gewebe gleichzeitig mit stickereiähnlichen Mustern zu versehen. Die Gewebe wurden vor allem für Frauenkleider und Vorhänge verwendet. Spezialisierung und technische Weiterentwicklung hin zur Automatisierung führten schliesslich dazu, dass die Jacquardwebstühle nach und nach ersetzt wurden. Heute sind sie nur noch Museumsstücke.
Geschickt und vielfältig begabt
In seiner Zeit als Angestellter suchte Samuel Fässler nach Möglichkeiten, die Maschinen, mit denen er arbeitete, zu verbessern, was ihm auch gelang, gibt es doch ein Patent, das auf seinen Erfindergeist zurück geht. Mit dem Erlös aus diesem Patent hatte er die nötigen Mittel für den Kauf des „Hemetli im Lanzen" in Gais, einem typischen Heidenhaus. Stall und Land waren verpachtet, eine Einliegerwohnung vermietet.
Er habe viel Herzblut in sein Hemetli gesteckt, erinnert sich eine Enkelin: „Er hat neben seiner Tätigkeit als Weber in Heimarbeit mit viel Geschick vor allem sein Haus in Schwung gehalten, in seiner „Budik“ Haushaltgeräte selbst repariert, die Fassade gemalt usw. Spielsachen für uns Kinder hat er mit Ausnahme einer Schaukel leider keine gemacht. Jedoch zimmerte er ein wunderschönes, frei stehendes Hühnerhaus, das wir nach der Fertigstellung gerne als begehbares Spielhaus genutzt hätten, er wollte oder musste es jedoch für die Hühner nutzen. Er war ein leidenschaftlicher Trompetenspieler, als solcher Ehrenmitglied sowohl der Musikgesellschaft Trogen wie auch des Musikvereins Speicher. Ich weiss noch, wie weh es ihm getan hat, als er seiner Trompete keinen Ton mehr entlocken konnte.“
Rüstig im Alter
Nachdem sich der Gesundheitszustand seiner Frau Marie verschlechtert und ein eigenständiges Leben im eigenen Haus nicht mehr möglich war, verkauften sie das Haus und zogen ins Altersheim Bethanien in Gais, wo Marie 1969 starb. Samuel Fässler war nicht glücklich im Heim. Er vermisste nach seiner letzten Anstellung seine berufliche Tätigkeit. Der neue Besitzer des Hauses im „Lanzen“ habe sich öfters gewundert, wenn Geräusche aus der Budik zu vernehmen waren oder wieder einmal das Licht brannte. Samuel Fässler konnte nicht verstehen, dass das Haus im „Lanzen“ nicht mehr sein Zuhause war.
Es begann eine richtige Odyssee:
Er übersiedelte zunächst nach Speicher in das "Ferien- und Erholungsheim Libanon", auch "Heimstätte Libanon" genannt. Im Parterre des Schulhauses Stoss in Speicher stellte ihm die Gemeinde einen Raum zur Verfügung, in welchem er gemeinsam mit seinem Kollegen Walter Frischknecht aus Teilen verschrotteter oder nicht mehr in Gebrauch stehender Webstühle einen voll funktionsfähigen Jacquardwebstuhl zusammenbaute, auf dem er noch einige Zeit seine kostbaren Webereien produzierte und sein Handwerk auch gerne Interessierten vorführte.
Der Webstuhl nahm im Laufe der Zeit zunehmend Schaden und wurde viele Jahre nach Samuel Fässlers Tod im Historischen Museum in St. Gallen eingelagert, wo sich seine Spur verliert.
Samuel Fässler war es gewohnt, selber zu entscheiden. Er war sowohl körperlich wie geistig gesund und tat sich (erst recht im Alter) schwer, Regeln befolgen zu müssen! Für die Bedürfnisse eines rüstigen Rentners gab es in den damaligen Altersheimen (noch) keine Angebote. So blieben seine Aufenthalte in Speicher, dann im Altersheim Trogen, darauf für kurze Zeit bei einer Schlummermutter in Trogen und wieder im Altersheim Trogen jeweils nur kurze Stationen auf seinem Lebensweg. Samuel Fässler starb an seinem 87. Geburtstag, dem 6. Juli 1973 in Trogen.
Text:
Peter Klee und Peter Abegglen, Nov. 2025
Quellen:
Appenzeller Kalender 1973, Band 252 > http://doi.org/10.5169/seals-376068
Erinnerungen von Ursula Rütsche-Fässler und Peter Klee, Enkelin, resp. Enkel von Samuel und Marie Fässler-Lanker
Bild Landsgemeinde: App. Jahrbuch 143, Seite 34