Schulsituation im Jahr 1799

Aus WikiSpeicher
Version vom 6. April 2021, 15:09 Uhr von Pabegglen (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: «Die Stapfer-Enquête (Link: https://stapferenquete.ch) von 1799 ist eine Umfrage zum "Niederen Schulwesen" in der Helvetischen Republik (1798 - 1803) im Auftrag…»)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Die Stapfer-Enquête (Link: https://stapferenquete.ch) von 1799 ist eine Umfrage zum "Niederen Schulwesen" in der Helvetischen Republik (1798 - 1803) im Auftrag des Erziehungsministers Philipp Albert Stapfer (1766-1840). Sie wandte sich mittels eines standardisierten Fragebogens direkt an die Lehrpersonen.

Der Fragebogen bestand aus den vier Teilen: Lokalverhältnisse, Unterricht, Personalverhältnisse und ökonomische Verhältnisse der Lehrpersonen. Insgesamt enthält der Fragebogen rund 50 Fragen. Philipp Albert Stapfer bezweckte mit dieser Umfrage, seine Reformabsichten durch eine Bestandsaufnahme zu legitimieren. Die Umfrage ist bekannt unter dem Namen Stapfer-Enquête. Interessant ist, dass praktisch alle Unterlagen zur Umfrage noch vorhanden sind.

Die Antwortbögen aus Speicher

Die handschriftlichen Antwortbögen der Lehrer von rund 2500 Schulen sind zwischen 2009 und 2015 transkribiert worden, unter ihnen auch diejenigen von Speicher. Für die Schule im Dorf im Schulhaus im Moos (heute Haus Buchenstrasse 6) Speicher antwortete Lehrer Hans Ulrich Rüsch, für die Schule Speicherschwendi (erstes Schulhaus, heute Achmühlestrasse 3) Johann Ulrich Krüsi. Die teilweise fast wörtlich gleichen Antworten lassen darauf schliessen, dass die beiden den Fragebogen gemeinsam beantworteten.

Die Schule im Dorf 1799

Teil 1: Lokalverhältnisse
Jm Canton Säntis, des Ditrikts Teüffen, in der Gemeind Agentschafft und Dorf Speicher, deßen Schulbezirck bereits eine Halbe Stunde auf 2. Seiten ausdehnt; da aber die Haüßer außert dem Dorf wie gesäet — zerstreüt ligen, laßt es sich nicht leicht in die Umkreiße — der Viertelstunden eintretten, im ganzen schließt der bezirck 258. Haüßer in sich, und ist ein andere Schule, im Unteren Theil der Gemeind, Schwendi genant eine Halbe Stunde entfernt.

Teil 2: Unterricht Die Schule wird durch das ganze Jahr gehalten, und darinnen gelehrt lesen, (Gedrukts und Geschriebenes) Schreiben, Singen etc., Zu dem Behuf werden Nammenbüchli, der kleine ||[Seite 2] und große Zürcher Catechismuß, vorbild vom seligen Pfarrer Gabriel Walser, Zeitungen, das Neüe Testament gebraucht. Die vorschrifften mache ich von Zeit Zu Zeit selbst von biblischen Sprüchen oder anderen außerlesenen Sittengemälden, werden dann auf ein Hölzernes Täfelchen Hingepapt, und öfters abgeänderet Die Schule wird täglich (Samstag ausgenohmen) 6. volle Stunden gehalten, 3. Stund vor- und 3. Stund Nachmittag! die Kinder sind nicht Classificiert.

Bilder: Namenbüchlein und Catechismus

Teil 3: Personal
Der Schuhllehrer wurde alle Spatjahr von einer Kirchhöri (oder primair versamlung) nach deme Er zuvor bey Bü: Pfarrer und Gemeinds Vorsteher den Vorstand für jene ausgewürckt um den Schuhldienst Zu begehren erwehlet. Mein Namme heißt Hs: Ulrich Rüsch, GemeindGenoß, 36 1/4 Jahr Alt, mit Familie, Frau und 1. Knab gegen die 5. Jahr stehe ich an diesem Posten, ehedesen Fabrikant der Seiden, jezt aber in etwas Mußelin, welches meine meine Frau fortsezt; ohne das ich ihr in ||[Seite 3] weit wegen meinem Geschäfftreichen Schuhlposten Hülfe leisten kann; den bis 80. und 100. Kinder starck ist die Schuhle im Sommer, im Winter mag sie dan wohl um einen drittheil Hinabschmelzen.

Teil 4: ökonomische Verhältnisse Lehrpersonen
Es ist ein eigenes Schuhl Capital (deren Größe ich nicht weiß) darvon mir jährlich so viel Zins einzuziehen angewiesen wird, als ich einen Lohn, von wochentlich fl. 3. also jahrlich fl. 158. nebst fl. 4. Trinkgeld erhalte. Schuhl lohn wird keiner bezogen, darzu ist ein eigenes Schuhlhauß mit einer Stube gewidmet, deßen Unterhalt aus dem Schulgut bestritten wird, daß aber gegenwärtig baufällig ist.

Quellenangabe Schmidt, H.R. / Messerli, A. / Osterwalder, F. / Tröhler, D. (Hgg.), Die Stapfer-Enquête. Edition der helvetischen Schulumfrage von 1799, Bern 2015, Nr. 1237: Speicher, [1].


==== Die Schule Speicherschwendi 1799 ====
Teil 1: Lokalverhältnisse
Über Lokalverhältnise. der untern Schul im Speicher Jm Canton Sentis, des Districkts Teüfen, in dem Flecken Schwendj genant, zur Kirchgemeind — und Agentschafft Speicher gehörend, der Schulkreiß Dehnt sich zirckelförmig auf alle Seiten, eine Viertelstund, aus, und gehören im ganzen 69. Haüser zu dieser Schule, die eine Halbe Stund von der Schule im Dorf Speicher entfernt ist.

Teil 2: Unterricht
Die Schule wir durchs ganze Jahr gehalten, und darinen gelehrt: Lesen (gedruckts und geschriebenes) Aus wendig lernen, Schreiben, Singen, usw., zu dem behuf werden Namenbüchly; der kleine und grose zürcher Chatechismus, Vorbild. V. seligen Pfrr; Gabriel Walser, das Neüe Testament und Zeitungen gebraucht, die Vorschrifften mache ich von zeit zu zeit selbst, Darzu ich bald biblische Sprüche, und bald schöne Sittenlehren benuze, und biswilen Abändere. die Schule wird täglich (Samstag ausgenohmen) 6. Volle Stunden gehalten, 3 Stund Vor- und 3 Stund Nachmittag; die Kinder sind nicht Classificiert.

Teil 3: Personal
der Schullehrer wurde alle Spatjahre von einer Kirchörj, oder Primair versamlung, nach deme Er zuvor bej br: Pfarer und ||[Seite 2] und Gemeinds Vorsteher, den Vorstand für jme Uns gewürckt hat, um den Schuldienst zu verlangen, er wehlet, mein Name ist Joh: Ulrich Krüsj, Gemeindsgenoß, 38. Jahr alt, mit frau und Knaben, gegen den 5 Jahr an diesem Posten, ehedesen 5 1/2 Jahr Schullehrer in der Gemeind Teüfen, Darneben keine Geschäffte als ein bischen Zeichnen, die anzahl der Kinder sind 45 bis 50 im Somer; im Winter aber fält die anzahl wohl um einen Drittel.

Teil 4: ökonomische Verhältnisse Lehrpersonen
Es ist ein eigenes Schul Capital (deren Gröse ich nicht weiß) Daraus erhalt ich ein Lohn, wöchentlich 1 fl. und 30 xr: also für ein Jahr 78 fl. nebst einem Nthlr: Trinckgeld, Darbej ich aber um Verbeserung Angesucht. und Hoffnung erhalten F: Schul geld wird keins bezogen, Zum Schulhalten, ist ein eigenes Hauß (das gebrechlich ist) mit Einer Stube, gewidmet, desen Unterhalt aus dem Schulgut bestritten wird.

Quellenangabe Schmidt, H.R. / Messerli, A. / Osterwalder, F. / Tröhler, D. (Hgg.), Die Stapfer-Enquête. Edition der helvetischen Schulumfrage von 1799, Bern 2015, Nr. 1236: Speicherschwendi, [2].

Erläuterungen

Unterricht

Die Angaben zum Unterricht zeigen die (noch) enge Verflechtung von Kirche und Schule, wurden doch hauptsächlich kirchliche „Lehrmittel“ verwendet. Der Unterricht besteht hauptsächlich im Auswendiglernen, Schreiben, Lesen und Singen, also „Fertigkeiten“, die im Gottesdienst zum Tragen kommen. Die „Vorschriften“ sind eine Sammlung von religiösen und moralischen Texten, viele davon mussten die Schüler auswendig lernen, wie es ein Speicherer Schüler anschaulich beschreibt. Link: Erfahrungsbericht eines Schülers. In beiden Schulen gibt es keine Klasseneinteilung.

==== Personal ====
Die Wahl der Lehrer erfolgte jeweils im Herbst (Spatjahr). Die Lehrer mussten sich vor der Wahl sowohl beim Pfarrer, wie beim Gemeindevorsteher um das Amt bewerben. Lehrer Hans Ulrich Rüsch im Dorf unterrichtete im Sommer zwischen 80 und 100 Kindern, im Winter noch 50 bis 70. Lehrer Johann Ulrich Krüsi in der Schwendi unterrichtete im Sommer um 50 Kinder, im Winter um 30.

==== Lehrergehälter ====
Obwohl beide Lehrer von Montag bis Freitag je 6 Stunden unterrichteten, sind die Löhne unterschiedlich. Lehrer Hans Ulrich Rüsch im Dorf bezog einen Jahreslohn von 158 Gulden, was nach heutigen Konsumentenpreisen (2020) einem Jahreslohn von rund 2800 Franken entspricht. Dazu kam noch ein Trinkgeld von 4 Gulden. Dieses Lehrergehalt darf für die damalige Zeit als hoch bezeichnet werden. Seine Frau verdiente mit der Mousselineproduktion, also Weberei, einen Zustupf. Lehrer Johann Ulrich Krüsi in der Schwendi verdiente etwa die Hälfte, was darauf schliessen lässt, dass der Lohn abhängig war von der Anzahl der Schüler/innen. Krüsi ersuchte aber um Verbesserung des Gehalts. Er betätigte sich nebenbei noch als Zeichner. Beide betonen, dass sie „kein Schulgeld“ beziehen, dass also die Kinder dem Lehrer nicht auch noch etwas zu bezahlen haben. Beide Lehrer beklagen sich, dass die Schulhäuser baufällig sind. (Dennoch diente das Schulhaus im Moos noch bis 1814, das Schulhaus in der Schwendi noch bis über 1860 als Schulhaus). Beide erwähnen keine zusätzlichen Naturaleinkünfte, wie sie teilweise üblich waren (z.B. ein Feld als Pflanzgarten oder Acker, Naturalgaben wie Schinken, Mehl etc.). Ein Pfarrer verdiente zur gleichen Zeit das Doppelte bis Dreifache eines Lehrers.