Landesstreik Vorboten: Unterschied zwischen den Versionen

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Speicher. (Korr.) An der Versammlung der Textilarbeitergewerkschaft Speicher referierten Sonntag, den 3. September Frau Marie Hüni, Arbeitersekretärin, Zürich, über die Stellung der Arbeiterfrau und Herr Nationalrat Greulich, Zürich, über das Thema: Was tut der Arbeiterschaft not. Zum Besuche der Versammlung war jedermann eingeladen worden und darum stellte sich denn auch Ihr Korrespondent ein, nach dem Grundsatz: „Eines Mannes Red’ ist keine Rede, man muss sie hören alle Beede“ und auch darum, weil wir Herrn Greulich als einen Sozialistenführer kennen, der Mass und Ziel einhält.
Speicher. (Korr.) An der Versammlung der Textilarbeitergewerkschaft Speicher referierten Sonntag, den 3. September Frau Marie Hüni, Arbeitersekretärin, Zürich, über die Stellung der Arbeiterfrau und Herr Nationalrat Greulich, Zürich, über das Thema: Was tut der Arbeiterschaft not. Zum Besuche der Versammlung war jedermann eingeladen worden und darum stellte sich denn auch Ihr Korrespondent ein, nach dem Grundsatz: „Eines Mannes Red’ ist keine Rede, man muss sie hören alle Beede“ und auch darum, weil wir Herrn Greulich als einen Sozialistenführer kennen, der Mass und Ziel einhält.
Referat Frau Hüni. In fliessendem, gewandtem Vortrage redete die Referentin dem vermehrten Frauenrechte das Wort, betonend, dass sich die Stellung der Frau, ihre Arbeit und ihre Aufgaben in den letzten 40 Jahren wesentlich verändert haben. Der mann soll nicht in unrichtigem Egoismus nur an sich selbst denken. An den Frauen und Müttern ist es, diesen Egoismus aus den Männern herauszubringen. Was nun im Einzelnen der Egoismus ist, das ist im allgemeinen der Nationalismus. Die Frau kann auf den Mann veredelnd wirken, ganz besonders durch ihre unversiegliche Mutterliebe. Diese Aufgabe hat aber die Frau nicht nur daheim in ihrer Familie zu erfüllen, sondern auch auf den Gebieten, in welche bisher die Frau keinen Zutritt hatte, in Verwaltungsgebiete, Genossenschaftswesen (Konsumverein), in der Gewerkschaft, bei Ausübung des Stimmrechtes usw. So sollen mann und Frau in gleicher Gleichberechtigung treu zusammenarbeiten auf dem wirtschaftlichen wie politischen Gebiete. Erst so können sie, nach Ansicht der Referentin, segenbringende Kulturarbeit leisten. Lebhafter Beifall lohnte die Ausführungen der gewandten Rednerin.
Referat Frau Hüni. In fliessendem, gewandtem Vortrage redete die Referentin dem vermehrten Frauenrechte das Wort, betonend, dass sich die Stellung der Frau, ihre Arbeit und ihre Aufgaben in den letzten 40 Jahren wesentlich verändert haben. Der mann soll nicht in unrichtigem Egoismus nur an sich selbst denken. An den Frauen und Müttern ist es, diesen Egoismus aus den Männern herauszubringen. Was nun im Einzelnen der Egoismus ist, das ist im allgemeinen der Nationalismus. Die Frau kann auf den Mann veredelnd wirken, ganz besonders durch ihre unversiegliche Mutterliebe. Diese Aufgabe hat aber die Frau nicht nur daheim in ihrer Familie zu erfüllen, sondern auch auf den Gebieten, in welche bisher die Frau keinen Zutritt hatte, in Verwaltungsgebiete, Genossenschaftswesen (Konsumverein), in der Gewerkschaft, bei Ausübung des Stimmrechtes usw. So sollen mann und Frau in gleicher Gleichberechtigung treu zusammenarbeiten auf dem wirtschaftlichen wie politischen Gebiete. Erst so können sie, nach Ansicht der Referentin, segenbringende Kulturarbeit leisten. Lebhafter Beifall lohnte die Ausführungen der gewandten Rednerin.
Herr Nationalrat Greulich knüpfte sein Referat an die Dichterworte: Wenn Fürsten zürnen, müssen die Völker schreien. Ers sprach also einleitend von den Zerstörungen des schrecklichen, männermordenden Krieges und freut sich, dass unser kleines Land bis heute durch unsern Schutz der Grenzen von den Greueln des Krieges verschont worden ist. Er kommt sodann auf den Zweck der sozialistischen Jugendorganisationen zu reden, die auf Sonntag, den 3. September  Versammlungen angeordnet hatten zur Belehrung einerseits und andrerseits zu Demonstrationen gegen den Krieg und gegen den Militarismus. Er verurteilt sodann das Vorgehen des schweizerischen Bundesrates in seinem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen (Wiki: Der Bundesrat rief am 31. August die Kantonsregierungen dazu auf, die von der Sozialdemokratischen Jugendorganisation auf den 3. September geplante Antikriegsdemonstration „Roter Sonntag“ zu verbieten.) . Dabei streift er die Ursachen, welche den Bundesrat zu seinem Vorgehen veranlassten. Er gibt den Polizeiorganen schuld, wenn beim Umzug am 1. August in Zürich Unordnungen vorgekommen seien. (Wiki: Der friedliche, aber unbewilligte „Spaziergang“ gegen den Militarismus von rund 200 Mitgliedern der sozialdemokratischen Jugendorganisation vom Sihlhölzli her wurde in der Bahnhofstrasse mit Säbelhieben der Polizei aufgelöst). Was am 25. August in der Bahnhofstrasse Zürich passiert ist, bezeichnet der Referent als eine Dummheit, die begangen wurde in dem Wahne, dass, wenn von einer Seite solche ausgeführt worden, es der andern auch gestattet sei (Wiki: Auf dem Stauffacherplatz demonstrierten Arbeiter gegen Teuerung und Wucher, in der Bahnhofstrasse kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Offizieren und Jugendlichen).
Herr Nationalrat Greulich knüpfte sein Referat an die Dichterworte: Wenn Fürsten zürnen, müssen die Völker schreien. Ers sprach also einleitend von den Zerstörungen des schrecklichen, männermordenden Krieges und freut sich, dass unser kleines Land bis heute durch unsern Schutz der Grenzen von den Greueln des Krieges verschont worden ist. Er kommt sodann auf den Zweck der sozialistischen Jugendorganisationen zu reden, die auf Sonntag, den 3. September  Versammlungen angeordnet hatten zur Belehrung einerseits und andrerseits zu Demonstrationen gegen den Krieg und gegen den Militarismus. Er verurteilt sodann das Vorgehen des schweizerischen Bundesrates in seinem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen (Wiki: Der Bundesrat rief am 31. August die Kantonsregierungen dazu auf, die von der Sozialdemokratischen Jugendorganisation auf den 3. September geplante Antikriegsdemonstration „Roter Sonntag“ zu verbieten.) . Dabei streift er die Ursachen, welche den Bundesrat zu seinem Vorgehen veranlassten. Er gibt den Polizeiorganen schuld, wenn beim Umzug am 1. August in Zürich Unordnungen vorgekommen seien. (Wiki: Der friedliche, aber unbewilligte „Spaziergang“ gegen den Militarismus von rund 200 Mitgliedern der sozialdemokratischen Jugendorganisation vom Sihlhölzli her wurde in der Bahnhofstrasse mit Säbelhieben der Polizei aufgelöst). Was am 25. August in der Bahnhofstrasse Zürich passiert ist, bezeichnet der Referent als eine Dummheit, die begangen wurde in dem Wahne, dass, wenn von einer Seite solche ausgeführt worden, es der andern auch gestattet sei (Wiki: Auf dem Stauffacherplatz demonstrierten Arbeiter gegen Teuerung und Wucher, in der Bahnhofstrasse kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Offizieren und Jugendlichen).
Sodann kommt der Redner auf das zu sprechen, was nach seiner Ansicht nach der Bundesrat getan und unterlassen hat, den politischen Gefahren und der wirtschaftlichen  Not vorzubeugen. Er kommt dabei auf die Spekulanten , Schieber und Wucherer zu sprechen, welche Millionengeschäfte machten, die böse Zeitlage also gänzlich zu ihrem Nutzen und zum Schaden des Volkes ausnutzten. Er fürchtet, dass der Bundesrat zu spät komme mit Vorsorge, dass unsere Kartoffeln- und Obstvorräte in die Hände von Spekulanten fallen. Krieg und Furcht vor Spionage führten zu einer Masse von Beschränkungen der Freiheitsrechte des Einzelnen und neuerlich nun eben auch zu einem Verbot von öffentlichen Umzügen zu demonstrativen Zwecken. an dem Arbeiter sei es, dafür zu sorgen, dass viele Rechte nach dem Kriege wieder hergestellt werden, wie auch dafür zu sorgen, dass der Lebensunterhalt wieder ein einträglicher werde. Er anerkennt, was da und dort an Teuerungszulagen geleistet worden, betont aber deren Unzulänglichkeit, um vorkommender Unterernährung zu steuern. Energisch redet sodann der Referent dem Zusammenschlusse der Arbeiter zu Gewerkschaften das Wort und betont, dass auch die Frauen Aufnahme finden sollen. Er rechnete aus, dass die Eidgenossenschaft nach dem Kriege jährlich 40 Millionen Franken für die Verzinsung und Amortisation der Schuldenlast zu leisten habe und findet, diese Summe dürfte ganz von den Besitzenden, h.d. denjenigen, die heute zur Leistung der Kriegssteuer herangezogen sind, gedeckt werden. Es sei genug, wenn der Arbeiter durch die indirekten Steuern, Zölle u. zur Deckung der ordentlichen Jahresausgaben resp. Defizites das Seinige beizutragen habe. Durch den Krieg sind die Kapitalien vereinigt , noch mehr angehäuft worden. Ihre wirtschaftliche Macht ist grösser geworden. Durch Zusammenschluss müsse dem gegenüber die politische Macht der Arbeiterschaft gestärkt werden.
Sodann kommt der Redner auf das zu sprechen, was nach seiner Ansicht nach der Bundesrat getan und unterlassen hat, den politischen Gefahren und der wirtschaftlichen  Not vorzubeugen. Er kommt dabei auf die Spekulanten , Schieber und Wucherer zu sprechen, welche Millionengeschäfte machten, die böse Zeitlage also gänzlich zu ihrem Nutzen und zum Schaden des Volkes ausnutzten. Er fürchtet, dass der Bundesrat zu spät komme mit Vorsorge, dass unsere Kartoffeln- und Obstvorräte in die Hände von Spekulanten fallen. Krieg und Furcht vor Spionage führten zu einer Masse von Beschränkungen der Freiheitsrechte des Einzelnen und neuerlich nun eben auch zu einem Verbot von öffentlichen Umzügen zu demonstrativen Zwecken. an dem Arbeiter sei es, dafür zu sorgen, dass viele Rechte nach dem Kriege wieder hergestellt werden, wie auch dafür zu sorgen, dass der Lebensunterhalt wieder ein einträglicher werde. Er anerkennt, was da und dort an Teuerungszulagen geleistet worden, betont aber deren Unzulänglichkeit, um vorkommender Unterernährung zu steuern. Energisch redet sodann der Referent dem Zusammenschlusse der Arbeiter zu Gewerkschaften das Wort und betont, dass auch die Frauen Aufnahme finden sollen. Er rechnete aus, dass die Eidgenossenschaft nach dem Kriege jährlich 40 Millionen Franken für die Verzinsung und Amortisation der Schuldenlast zu leisten habe und findet, diese Summe dürfte ganz von den Besitzenden, h.d. denjenigen, die heute zur Leistung der Kriegssteuer herangezogen sind, gedeckt werden. Es sei genug, wenn der Arbeiter durch die indirekten Steuern, Zölle u. zur Deckung der ordentlichen Jahresausgaben resp. Defizites das Seinige beizutragen habe. Durch den Krieg sind die Kapitalien vereinigt , noch mehr angehäuft worden. Ihre wirtschaftliche Macht ist grösser geworden. Durch Zusammenschluss müsse dem gegenüber die politische Macht der Arbeiterschaft gestärkt werden.
Lebhafter Beifall lohnt auch dieses für die Ideen der Sozialdemokratie vorzügliche und auch von politisch Andersdenkenden aus beurteilt massvoll gehaltene Referat.
Lebhafter Beifall lohnt auch dieses für die Ideen der Sozialdemokratie vorzügliche und auch von politisch Andersdenkenden aus beurteilt massvoll gehaltene Referat.
Der Zeiger der Uhr war unterdessen gegen 5 Uhr gerückt. Den Korrespondenten riefen andere Pflichten ab. wie ihm mitgeteilt worden ist, wurde die Diskussion in ergänzendem Sinnen geführt durch ein vorzügliches Votum von  Herrn Nationalrat H. Eugster, der sich auch über den derzeitigen Stand  und Gang und die nächsten Aussichten unserer Stickereiindustrie aussprach. Die Herren Weishaupt und Kern verdankten in ihren Voten die gehaltenen Referate, und so konnte der Geschäftsleitende, Herr Bänziger, seinerseits die Versammlung schliessen, indem er sowohl die Referate wie das Erscheinen der Zuhörer und Zuhörerinnen, es waren zusammen zirka 100 anwesend, bestens verdankte und die gefallenen Worte zur Beherzigung empfahl.
Der Zeiger der Uhr war unterdessen gegen 5 Uhr gerückt. Den Korrespondenten riefen andere Pflichten ab. wie ihm mitgeteilt worden ist, wurde die Diskussion in ergänzendem Sinnen geführt durch ein vorzügliches Votum von  Herrn Nationalrat H. Eugster, der sich auch über den derzeitigen Stand  und Gang und die nächsten Aussichten unserer Stickereiindustrie aussprach. Die Herren Weishaupt und Kern verdankten in ihren Voten die gehaltenen Referate, und so konnte der Geschäftsleitende, Herr Bänziger, seinerseits die Versammlung schliessen, indem er sowohl die Referate wie das Erscheinen der Zuhörer und Zuhörerinnen, es waren zusammen zirka 100 anwesend, bestens verdankte und die gefallenen Worte zur Beherzigung empfahl.
Möge es einem politisch anders Denkenden gestattet sein, einige Glossen zu den beiden Referaten anzubringen.
Möge es einem politisch anders Denkenden gestattet sein, einige Glossen zu den beiden Referaten anzubringen.
1. Frauenstimmrecht und Beizug in leitende Stellen bei Genossenschaften und in Gewerkschaft. Wahr ist es, dass die Frau vieles tun kann zur Veredlung ihres Mannes, wie ihrer Söhne. Zugegeben , dass wir den Frauen Sitz und Stimme gar wohl einräumen dürften in manchen Gebieten wirtschaftlichen Lebens, so besonders im Erziehungs- und Armen-Kinderfürsorgewesen. sie können speziell in diesen Gebieten uns Männer wohltätig ergänzen. Aber ins politische Leben einzutreten, kann vorab einer Mutter und Hausfrau, die ihrem Manne das Haus zum Ruhepunkte des Glückes und der Erholung machen will, fast unmöglich ernst sein. Sie hat schon keine Zeit dazu. Wir können es uns nicht vorstellen, wie die Mutter, welche heute in diese Sitzung und morgen in jene wandern muss, dem Manne noch das heimelige haus bereiten, den Kindern ihr guter Engel und Erzieherin, Lehrerin, den grössern und grossen treueste Beraterin und Helferin sein könnte. Und gerade darin liegt ja die höchste Aufgabe und das beste Glück der Hausmutter. Wir halten uns diesbezüglich noch an das Dichterwort: Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben … Und drinnen waltet die tüchtige Hausfrau und herrschet weise im häuslichen Kreise, und reget ohn’ Ende die fleissigen Hände, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben usw. Und auch diejenigen, die sich nicht Hausfrau und Mutter nennen können, finden als gute Tanten und Hausgeister der beglückenden, dankbaren Arbeit genug.
1. Frauenstimmrecht und Beizug in leitende Stellen bei Genossenschaften und in Gewerkschaft. Wahr ist es, dass die Frau vieles tun kann zur Veredlung ihres Mannes, wie ihrer Söhne. Zugegeben , dass wir den Frauen Sitz und Stimme gar wohl einräumen dürften in manchen Gebieten wirtschaftlichen Lebens, so besonders im Erziehungs- und Armen-Kinderfürsorgewesen. sie können speziell in diesen Gebieten uns Männer wohltätig ergänzen. Aber ins politische Leben einzutreten, kann vorab einer Mutter und Hausfrau, die ihrem Manne das Haus zum Ruhepunkte des Glückes und der Erholung machen will, fast unmöglich ernst sein. Sie hat schon keine Zeit dazu. Wir können es uns nicht vorstellen, wie die Mutter, welche heute in diese Sitzung und morgen in jene wandern muss, dem Manne noch das heimelige haus bereiten, den Kindern ihr guter Engel und Erzieherin, Lehrerin, den grössern und grossen treueste Beraterin und Helferin sein könnte. Und gerade darin liegt ja die höchste Aufgabe und das beste Glück der Hausmutter. Wir halten uns diesbezüglich noch an das Dichterwort: Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben … Und drinnen waltet die tüchtige Hausfrau und herrschet weise im häuslichen Kreise, und reget ohn’ Ende die fleissigen Hände, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben usw. Und auch diejenigen, die sich nicht Hausfrau und Mutter nennen können, finden als gute Tanten und Hausgeister der beglückenden, dankbaren Arbeit genug.
2. Und nun zum Referate Greulich. Ja, er hat massvoll gesprochen und vieles, was unser politischer Antipode sagte, können auch wir voll unterstützen. Wir wären ihm noch sehr gerne noch in jenes Gebiet weiter gefolgt, das er antupfte: dass der Arbeitgeber, der Industrielle, statt in Feindschaft mit den Gewerkschaften zu leben, in Gemeinschaft mit ihnen arbeiten sollte. Ja, gewiss, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben einander ganz gleich nötig, sind ganz gleich viel wert, wie sie beide ihre Stellung und Aufgabe ausfüllen und lösen. Sie sollten in gegenseitigem Entgegenkommen, gegenseitiger Treue arbeiten. Da sollte alles unterlassen werden, was Uneinigkeit hervorrufen, Misstrauen wecken muss und alles getan werden, um die Beiden zusammen-, statt auseinander zu führen. Und was nu speziell die Vorgänge des 25. August in Zürich anbetrifft, so hätten wir dafür allerdings einen andern Ausdruck als „Dummheit“. Wir lassen weder unsere Bundesbehörden, die mit sehr viel Liebe, Takt und Geschicklichkeit eine ungeheure Arbeit gelöst haben seit Ausbruch des Krieges, zum Wohle unseres Vaterlandes, wir lassen weder sie , noch unsere Armee und deren Offiziere im allgemeinen beschimpfen. In allen Ständen und unter allen Volksklassen gibt es anfechtbare Einzelmitglieder. Deswegen den ganzen Stand zu verfluchen, geht nicht an. Menschliche Irrtümer gibt es, so lange Menschen bestehen, und auch dem gescheitesten und Besten gelingt beim treuesten Willen nicht alles. Kritisieren ist immer leichter als besser machen. Eine wohlwollende Kritik wird immer Gutes wirken, ja, nicht aber ein stetiges hämisches Verunglimpfen, wie es, am letzten Sonntag, vorkam; nein, es freut uns, das Gegenteil konstatieren zu können, aber wie es von gewissen Leuten ständig geübt wird. Und wollten wir nach dem Gebaren einzelner Sozialistenführer handeln, so müssten wir ja auch die ganze Partei verdammen. Das dürfen und wollen wir nicht; aber wünschen möchten wir, dass sich die ganze sozialdemokratische Partei von dem Gebaren eines Naine-Graber-Grimm loslösen würde. Dann könnte eher in Erfüllung gehen, wenigstens in gewissen Grenzen, was Herr Nationalrat Greulich letzten Sonntag gewünscht hat.
2. Und nun zum Referate Greulich. Ja, er hat massvoll gesprochen und vieles, was unser politischer Antipode sagte, können auch wir voll unterstützen. Wir wären ihm noch sehr gerne noch in jenes Gebiet weiter gefolgt, das er antupfte: dass der Arbeitgeber, der Industrielle, statt in Feindschaft mit den Gewerkschaften zu leben, in Gemeinschaft mit ihnen arbeiten sollte. Ja, gewiss, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben einander ganz gleich nötig, sind ganz gleich viel wert, wie sie beide ihre Stellung und Aufgabe ausfüllen und lösen. Sie sollten in gegenseitigem Entgegenkommen, gegenseitiger Treue arbeiten. Da sollte alles unterlassen werden, was Uneinigkeit hervorrufen, Misstrauen wecken muss und alles getan werden, um die Beiden zusammen-, statt auseinander zu führen. Und was nu speziell die Vorgänge des 25. August in Zürich anbetrifft, so hätten wir dafür allerdings einen andern Ausdruck als „Dummheit“. Wir lassen weder unsere Bundesbehörden, die mit sehr viel Liebe, Takt und Geschicklichkeit eine ungeheure Arbeit gelöst haben seit Ausbruch des Krieges, zum Wohle unseres Vaterlandes, wir lassen weder sie , noch unsere Armee und deren Offiziere im allgemeinen beschimpfen. In allen Ständen und unter allen Volksklassen gibt es anfechtbare Einzelmitglieder. Deswegen den ganzen Stand zu verfluchen, geht nicht an. Menschliche Irrtümer gibt es, so lange Menschen bestehen, und auch dem gescheitesten und Besten gelingt beim treuesten Willen nicht alles. Kritisieren ist immer leichter als besser machen. Eine wohlwollende Kritik wird immer Gutes wirken, ja, nicht aber ein stetiges hämisches Verunglimpfen, wie es, am letzten Sonntag, vorkam; nein, es freut uns, das Gegenteil konstatieren zu können, aber wie es von gewissen Leuten ständig geübt wird. Und wollten wir nach dem Gebaren einzelner Sozialistenführer handeln, so müssten wir ja auch die ganze Partei verdammen. Das dürfen und wollen wir nicht; aber wünschen möchten wir, dass sich die ganze sozialdemokratische Partei von dem Gebaren eines Naine-Graber-Grimm loslösen würde. Dann könnte eher in Erfüllung gehen, wenigstens in gewissen Grenzen, was Herr Nationalrat Greulich letzten Sonntag gewünscht hat.


=== Marie Hüni und Hermann Greulich ===
=== Marie Hüni und Hermann Greulich ===

Version vom 9. Februar 2018, 11:53 Uhr

Anlässlich einer öffentlichen Versammlung der Textilarbeitergewerkschaft Speicher am Sonntag, 3. September 1916, hielten vor rund 100 Anwesenden zwei namhafte Persönlichkeiten aus der schweizerischen Gewerkschaftsbewegung einen Vortrag zum Thema „Was tut der Arbeiterschaft not?“ Nationalrat Hermann Greulich wird im Bericht der Appenzeller Landeszeitung vom 6. September als „Sozialistenführer“ bezeichnet, Marie Hüni als „Arbeitersekretärin.“ Die beiden Vorträge zeigen deutlich die durch die Forschung bestätigten Ereignisse der Kriegsjahre (Graben zwischen Arbeiterschaft/Konsumenten einerseits und Industrielle/Landwirtschaft andrerseits sowie die entsprechenden politischen Stossrichtungen), die letztlich im Landesstreik von 1918 mündeten. Die Anmerkungen der Wikiredaktion im Zeitungsbericht bezeichnen die anderweitig dokumentierten Ereignisse.

Appenzeller Landeszeitung vom 6. September 1916

Speicher. (Korr.) An der Versammlung der Textilarbeitergewerkschaft Speicher referierten Sonntag, den 3. September Frau Marie Hüni, Arbeitersekretärin, Zürich, über die Stellung der Arbeiterfrau und Herr Nationalrat Greulich, Zürich, über das Thema: Was tut der Arbeiterschaft not. Zum Besuche der Versammlung war jedermann eingeladen worden und darum stellte sich denn auch Ihr Korrespondent ein, nach dem Grundsatz: „Eines Mannes Red’ ist keine Rede, man muss sie hören alle Beede“ und auch darum, weil wir Herrn Greulich als einen Sozialistenführer kennen, der Mass und Ziel einhält.

Referat Frau Hüni. In fliessendem, gewandtem Vortrage redete die Referentin dem vermehrten Frauenrechte das Wort, betonend, dass sich die Stellung der Frau, ihre Arbeit und ihre Aufgaben in den letzten 40 Jahren wesentlich verändert haben. Der mann soll nicht in unrichtigem Egoismus nur an sich selbst denken. An den Frauen und Müttern ist es, diesen Egoismus aus den Männern herauszubringen. Was nun im Einzelnen der Egoismus ist, das ist im allgemeinen der Nationalismus. Die Frau kann auf den Mann veredelnd wirken, ganz besonders durch ihre unversiegliche Mutterliebe. Diese Aufgabe hat aber die Frau nicht nur daheim in ihrer Familie zu erfüllen, sondern auch auf den Gebieten, in welche bisher die Frau keinen Zutritt hatte, in Verwaltungsgebiete, Genossenschaftswesen (Konsumverein), in der Gewerkschaft, bei Ausübung des Stimmrechtes usw. So sollen mann und Frau in gleicher Gleichberechtigung treu zusammenarbeiten auf dem wirtschaftlichen wie politischen Gebiete. Erst so können sie, nach Ansicht der Referentin, segenbringende Kulturarbeit leisten. Lebhafter Beifall lohnte die Ausführungen der gewandten Rednerin.

Herr Nationalrat Greulich knüpfte sein Referat an die Dichterworte: Wenn Fürsten zürnen, müssen die Völker schreien. Ers sprach also einleitend von den Zerstörungen des schrecklichen, männermordenden Krieges und freut sich, dass unser kleines Land bis heute durch unsern Schutz der Grenzen von den Greueln des Krieges verschont worden ist. Er kommt sodann auf den Zweck der sozialistischen Jugendorganisationen zu reden, die auf Sonntag, den 3. September Versammlungen angeordnet hatten zur Belehrung einerseits und andrerseits zu Demonstrationen gegen den Krieg und gegen den Militarismus. Er verurteilt sodann das Vorgehen des schweizerischen Bundesrates in seinem Kreisschreiben an die Kantonsregierungen (Wiki: Der Bundesrat rief am 31. August die Kantonsregierungen dazu auf, die von der Sozialdemokratischen Jugendorganisation auf den 3. September geplante Antikriegsdemonstration „Roter Sonntag“ zu verbieten.) . Dabei streift er die Ursachen, welche den Bundesrat zu seinem Vorgehen veranlassten. Er gibt den Polizeiorganen schuld, wenn beim Umzug am 1. August in Zürich Unordnungen vorgekommen seien. (Wiki: Der friedliche, aber unbewilligte „Spaziergang“ gegen den Militarismus von rund 200 Mitgliedern der sozialdemokratischen Jugendorganisation vom Sihlhölzli her wurde in der Bahnhofstrasse mit Säbelhieben der Polizei aufgelöst). Was am 25. August in der Bahnhofstrasse Zürich passiert ist, bezeichnet der Referent als eine Dummheit, die begangen wurde in dem Wahne, dass, wenn von einer Seite solche ausgeführt worden, es der andern auch gestattet sei (Wiki: Auf dem Stauffacherplatz demonstrierten Arbeiter gegen Teuerung und Wucher, in der Bahnhofstrasse kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Offizieren und Jugendlichen).

Sodann kommt der Redner auf das zu sprechen, was nach seiner Ansicht nach der Bundesrat getan und unterlassen hat, den politischen Gefahren und der wirtschaftlichen Not vorzubeugen. Er kommt dabei auf die Spekulanten , Schieber und Wucherer zu sprechen, welche Millionengeschäfte machten, die böse Zeitlage also gänzlich zu ihrem Nutzen und zum Schaden des Volkes ausnutzten. Er fürchtet, dass der Bundesrat zu spät komme mit Vorsorge, dass unsere Kartoffeln- und Obstvorräte in die Hände von Spekulanten fallen. Krieg und Furcht vor Spionage führten zu einer Masse von Beschränkungen der Freiheitsrechte des Einzelnen und neuerlich nun eben auch zu einem Verbot von öffentlichen Umzügen zu demonstrativen Zwecken. an dem Arbeiter sei es, dafür zu sorgen, dass viele Rechte nach dem Kriege wieder hergestellt werden, wie auch dafür zu sorgen, dass der Lebensunterhalt wieder ein einträglicher werde. Er anerkennt, was da und dort an Teuerungszulagen geleistet worden, betont aber deren Unzulänglichkeit, um vorkommender Unterernährung zu steuern. Energisch redet sodann der Referent dem Zusammenschlusse der Arbeiter zu Gewerkschaften das Wort und betont, dass auch die Frauen Aufnahme finden sollen. Er rechnete aus, dass die Eidgenossenschaft nach dem Kriege jährlich 40 Millionen Franken für die Verzinsung und Amortisation der Schuldenlast zu leisten habe und findet, diese Summe dürfte ganz von den Besitzenden, h.d. denjenigen, die heute zur Leistung der Kriegssteuer herangezogen sind, gedeckt werden. Es sei genug, wenn der Arbeiter durch die indirekten Steuern, Zölle u. zur Deckung der ordentlichen Jahresausgaben resp. Defizites das Seinige beizutragen habe. Durch den Krieg sind die Kapitalien vereinigt , noch mehr angehäuft worden. Ihre wirtschaftliche Macht ist grösser geworden. Durch Zusammenschluss müsse dem gegenüber die politische Macht der Arbeiterschaft gestärkt werden.

Lebhafter Beifall lohnt auch dieses für die Ideen der Sozialdemokratie vorzügliche und auch von politisch Andersdenkenden aus beurteilt massvoll gehaltene Referat.

Der Zeiger der Uhr war unterdessen gegen 5 Uhr gerückt. Den Korrespondenten riefen andere Pflichten ab. wie ihm mitgeteilt worden ist, wurde die Diskussion in ergänzendem Sinnen geführt durch ein vorzügliches Votum von Herrn Nationalrat H. Eugster, der sich auch über den derzeitigen Stand und Gang und die nächsten Aussichten unserer Stickereiindustrie aussprach. Die Herren Weishaupt und Kern verdankten in ihren Voten die gehaltenen Referate, und so konnte der Geschäftsleitende, Herr Bänziger, seinerseits die Versammlung schliessen, indem er sowohl die Referate wie das Erscheinen der Zuhörer und Zuhörerinnen, es waren zusammen zirka 100 anwesend, bestens verdankte und die gefallenen Worte zur Beherzigung empfahl.

Möge es einem politisch anders Denkenden gestattet sein, einige Glossen zu den beiden Referaten anzubringen.

1. Frauenstimmrecht und Beizug in leitende Stellen bei Genossenschaften und in Gewerkschaft. Wahr ist es, dass die Frau vieles tun kann zur Veredlung ihres Mannes, wie ihrer Söhne. Zugegeben , dass wir den Frauen Sitz und Stimme gar wohl einräumen dürften in manchen Gebieten wirtschaftlichen Lebens, so besonders im Erziehungs- und Armen-Kinderfürsorgewesen. sie können speziell in diesen Gebieten uns Männer wohltätig ergänzen. Aber ins politische Leben einzutreten, kann vorab einer Mutter und Hausfrau, die ihrem Manne das Haus zum Ruhepunkte des Glückes und der Erholung machen will, fast unmöglich ernst sein. Sie hat schon keine Zeit dazu. Wir können es uns nicht vorstellen, wie die Mutter, welche heute in diese Sitzung und morgen in jene wandern muss, dem Manne noch das heimelige haus bereiten, den Kindern ihr guter Engel und Erzieherin, Lehrerin, den grössern und grossen treueste Beraterin und Helferin sein könnte. Und gerade darin liegt ja die höchste Aufgabe und das beste Glück der Hausmutter. Wir halten uns diesbezüglich noch an das Dichterwort: Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben … Und drinnen waltet die tüchtige Hausfrau und herrschet weise im häuslichen Kreise, und reget ohn’ Ende die fleissigen Hände, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben usw. Und auch diejenigen, die sich nicht Hausfrau und Mutter nennen können, finden als gute Tanten und Hausgeister der beglückenden, dankbaren Arbeit genug.

2. Und nun zum Referate Greulich. Ja, er hat massvoll gesprochen und vieles, was unser politischer Antipode sagte, können auch wir voll unterstützen. Wir wären ihm noch sehr gerne noch in jenes Gebiet weiter gefolgt, das er antupfte: dass der Arbeitgeber, der Industrielle, statt in Feindschaft mit den Gewerkschaften zu leben, in Gemeinschaft mit ihnen arbeiten sollte. Ja, gewiss, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben einander ganz gleich nötig, sind ganz gleich viel wert, wie sie beide ihre Stellung und Aufgabe ausfüllen und lösen. Sie sollten in gegenseitigem Entgegenkommen, gegenseitiger Treue arbeiten. Da sollte alles unterlassen werden, was Uneinigkeit hervorrufen, Misstrauen wecken muss und alles getan werden, um die Beiden zusammen-, statt auseinander zu führen. Und was nu speziell die Vorgänge des 25. August in Zürich anbetrifft, so hätten wir dafür allerdings einen andern Ausdruck als „Dummheit“. Wir lassen weder unsere Bundesbehörden, die mit sehr viel Liebe, Takt und Geschicklichkeit eine ungeheure Arbeit gelöst haben seit Ausbruch des Krieges, zum Wohle unseres Vaterlandes, wir lassen weder sie , noch unsere Armee und deren Offiziere im allgemeinen beschimpfen. In allen Ständen und unter allen Volksklassen gibt es anfechtbare Einzelmitglieder. Deswegen den ganzen Stand zu verfluchen, geht nicht an. Menschliche Irrtümer gibt es, so lange Menschen bestehen, und auch dem gescheitesten und Besten gelingt beim treuesten Willen nicht alles. Kritisieren ist immer leichter als besser machen. Eine wohlwollende Kritik wird immer Gutes wirken, ja, nicht aber ein stetiges hämisches Verunglimpfen, wie es, am letzten Sonntag, vorkam; nein, es freut uns, das Gegenteil konstatieren zu können, aber wie es von gewissen Leuten ständig geübt wird. Und wollten wir nach dem Gebaren einzelner Sozialistenführer handeln, so müssten wir ja auch die ganze Partei verdammen. Das dürfen und wollen wir nicht; aber wünschen möchten wir, dass sich die ganze sozialdemokratische Partei von dem Gebaren eines Naine-Graber-Grimm loslösen würde. Dann könnte eher in Erfüllung gehen, wenigstens in gewissen Grenzen, was Herr Nationalrat Greulich letzten Sonntag gewünscht hat.

Marie Hüni und Hermann Greulich

Dass Marie Hüni und Hermann Greulich ausgerechnet in Speicher eingeladen waren, ist auf die Initiative von Howard Eugster („Weberpfarrer“), zu jener Zeit ebenfalls SP-Nationalrat, zurück zu führen. Hermann Greulich war Gründer der ersten Gewerkschaften, der Arbeiterzeitung „Die Tagwacht“ und erster vollamtlicher Arbeitersekretär der Schweiz. Er war Mitgründer der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Eugster und Greulich gehörten 1912 zu den Gründungsmitgliedern der SUVA und vertraten (zusammen mit andern) im ersten Verwaltungsrat die Arbeitnehmerseite. Marie Hüni war Arbeiterinnensekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und Redaktorin der Zeitschrift „Die Vorkämpferin“. Sie setzte sich, vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts vehement für die politische Gleichstellung der Frauen ein. Wie ihr diesbezügliches Engagement zu jener Zeit bei politisch Andersdenkenden ankam zeigt der Zeitungsausschnitt eindrücklich.

Geschichtliche Hintergründe

Aus Wikipedia

Dass gegen Ende des Ersten Weltkrieges die Idee eines landesweiten Generalstreiks in der Schweizer Arbeiterbewegung zunehmend populärer wurde, war kein Zufall. Seit dem Kriegsausbruch hatten sich die Lebensbedingungen breiter Massen zunehmend verschlechtert. Hatte sich zu Beginn des Krieges die Sozialdemokratie – ohne dass sie allerdings in die Landesregierung eingebunden worden wäre – der Politik des „Burgfriedens“ angeschlossen und waren die Konflikte eher entlang der Grenze der mit unterschiedlichen Kriegsparteien sympathisierenden Sprachgruppen verlaufen, so verschärfte sich die Kluft zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum in den folgenden Jahren mehr und mehr. Die zunehmende Inflation schuf Gewinner und Verlierer. Profiteure waren die Landwirtschaft, teilweise auch die Industrie, die nicht selten für beide kriegführenden Blöcke produzierte. Auf der Verliererseite standen die Lohnabhängigen, denen der Teuerungsausgleich erst spät und keineswegs vollständig gewährt wurde, die Wehrmänner und ihre Familien, die grosse Einkommensverlusten hinnehmen mussten und häufig ihre Arbeitsplätze verloren, sowie die Konsumenten, die unter der zunehmenden Lebensmittelknappheit und dem massiven Ansteigen der Mieten litten. Im letzten Kriegsjahr war mehr als ein Sechstel der Bevölkerung auf Notstandsunterstützungen angewiesen. Auch in der Armee war die Stimmung keineswegs die beste. Die Wehrmänner waren finanziell schlecht abgesichert. Die wachsende soziale Unrast führte zu einer Zunahme von Streiks. Hatte es 1916 35 Arbeitsniederlegungen mit 3'330 Beteiligten gegeben, so waren es im folgenden Jahr bereits 140 Streiks, an denen sich 13'459 Arbeiter beteiligten. Im Jahre 1918 streikten dann (ohne den Landesstreik mitzuzählen) 24.382 Personen in 269 Fällen. Seit Sommer 1916 gab es auch Marktdemonstrationen verzweifelter Arbeiterinnen, und in verschiedenen Städten fanden auch eigentliche Hungermärsche von Frauen statt, die die Behörden zum Handeln aufrütteln wollten. … Zudem radikalisierten sich Teile der schweizerischen Sozialdemokratie. Im September 1915 und im April 1916 fanden unter der Leitung Robert Grimms in Zimmerwald und Kiental internationale Konferenzen von Linkssozialisten statt, die für eine möglichst rasche Beendigung des Krieges plädierten. Bereits im November 1915 stellte sich der Parteitag der SPS hinter die Ziele dieser sogenannten „Zimmerwalder Bewegung“. Der SP-Parteitag von 1917 brachte dann den Antimilitaristen einen entscheidenden Sieg.

Historisches Lexikon der Schweiz, Stichwort „Landesstreik“

Der landesweite Generalstreik vom November 1918 bildete den Höhepunkt der heftigen sozialen Auseinandersetzungen, die gegen das Ende des Ersten Weltkrieges die Schweiz wie andere europ. Länder erschütterten. Das Oltener Aktionskomitee (OAK)… richtete mehrmals mit Streikdrohungen unterstrichene Forderungen an den Bundesrat. Deshalb musste dieser im Gegensatz zu vorher zumindest teilweise darauf eintreten. .… Am 10. November 1918 kam es auf dem Fraumünsterplatz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Militär, was die Stimmung anheizte. Das OAK stand angesichts dieser Entwicklung vor dem Entscheid, sich den Zürchern anzuschliessen oder seinen Einfluss zu verlieren; es rief für Dienstag, den 12. November, den unbefristeten Generalstreik aus. Die Proklamation enthielt neun Forderungen teils politischen, teils sozialen Inhalts. Sie verlangte die sofortige Neuwahl des Nationalrats gemäss dem - am 13. Oktober angenommenen - Proporzwahlrecht, die Einführung des Frauenstimmrechts, einer allg. Arbeitspflicht, der 48-Stunden-Woche, eine Armeereform, die Sicherung der Lebensmittelversorgung, eine Alters- sowie Invalidenversicherung, ein staatl. Aussenhandelsmonopol und eine Vermögenssteuer zum Abbau der Staatsverschuldung.