Krüsi John

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Ohne Johann Heinrich Krüsi gäbe es weder Plattenspieler, Glühbirne noch Isolierkabel. Aufgewachsen im Waisenhaus in Speicher, wanderte er 1870 nach Amerika aus und wurde 1877 die rechte Hand von Thomas Edison. Der Werdegang von John Krüsi ist ein Musterbeispiel einer sogenannten Tellerwäscherkarriere, die ja oft mit dem «american dream» verbunden wird.

Biographische Daten

  • 15.5.1843 als uneheliches Kind der Juditha Krüsi in Heiden geboren.
  • Aufgewachsen im Waisenhaus Speicher, daselbst minimalste Schulbildung und wie alle Waisenhausbuben Mithilfe beim Sticken im Stickkeller.
  • Schlosserlehre in St. Fiden, anschliessend Lehr- und Wanderjahre in europäischen Ländern.
  • 1870 Auswanderung in die USA, Anstellung bei der Nähmaschinenfabrik Singer
  • 1871 Anstellung bei Thomas Alva Edison, zunächst Mitarbeiter, dann Werkmeister und Teilhaber
  • 1873 Heirat mit Emilie Zwinger, Tochter des Jakob August Zwinger, Apotheker im Thurgau, der Ehe entsprangen acht Kinder.
  • Genialer Konstrukteur, Mechaniker und Entwickler, teils eigene Erfindungen
  • Gestorben am 22.2.1899 in Schenectady (New York)

Schwierige Kindheit und Jugendzeit

Krüsis Mutter Juditha Krüsi brachte ihren Johann Heinrich am 15. Mai 1843 zur Welt, als uneheliches Kind, was etwas vom Schändlichsten war in jener Zeit. Wer unehelich geboren war, hatte in der Regel zeitlebens Schwierigkeiten. Juditha Krüsi verklagte den mutmasslichen Vater, sei es, weil sie die Heirat wollte, sei es, weil sie sich für den Buben einen Vorteil erhoffte. Das Gerichtsurteil war eine riesige Enttäuschung, möglicherweise war der Vater ein einflussreicher Mann, der um seine Ehre fürchtete. Im Urteil wurde Juditha Krüsi wegen „falscher Vaterschaftsklage, verleumderischen Aussagen und lügnerischen Anschuldigungen der Untersuchungsbehörden“ schuldig gesprochen. Als Strafe wurden ihr zwanzig Rutenschläge sowie vier Wochen Gefängnis auferlegt. Das Kind nahm man ihr, wie damals in solchen Fällen üblich, weg und gab es ins Waisenhaus der Heimatgemeinde, also von Speicher. Unbekannt ist, ob Juditha Krüsi mit ihrem Johann Heinrich je wieder Kontakt hatte.

Im Waisenhaus von Speicher wurden die Kinder und Jugendlichen nach damals üblicher Art möglichst früh als billige Arbeitskräfte eingesetzt, nach heutiger Auffassung ausgenutzt. Arbeitsort war meist der Webkeller, wo vor allem die Jüngeren schon früh zum Spulen und „Fädeln“ eingesetzt wurden. Der Waisenvater war zugleich Schulmeister und „Unternehmer“ des hauseigenen Stickbetriebs, in welchem die Knaben mitarbeiten mussten um ihren Lebensunterhalt mitzufinanzieren, die Schulbildung war dementsprechend mager. Alfred Altherr, ein Freund und späterer Pfarrer, der mit Krüsi im Heim aufwuchs, erinnerte sich: «Johann Krüsi und ich waren nichts als kleine Weberlein. Dreimal täglich mussten wir aus zinnernen Schüsselchen unser Habermus essen. Wir lernten wenig, man schlug uns mit Ruten und traf mitunter den Unrechten.»


Lehr- und Wanderjahre

Johann Heinrich Krüsi war schon früh von der Mechanik der Stickmaschinen fasziniert. Wohl wegen dieses Interesses konnte er im Alter von 17 Jahren mit finanzieller Unterstützung durch seine Bürgergemeinde Speicher eine Schlosserlehre in St. Fiden bei St. Gallen beginnen, nicht ohne sich zusätzlich an einer Abendschule in Mathematik und technischem Zeichnen weiter zu bilden. Nach der Lehre und Weiterbildungen zum Mechaniker in Zürich begab er sich auf Wanderschaft. Als Handwerker absolvierte er Praktika in Salzburg, Plauen, Kopenhagen, Paris und Hamburg, kurze Zeit war er zwischenzeitlich auch für die Vereinigten Schweizer Bahnen in Rorschach tätig, einer privaten Bahngesellschaft. Ein Besuch 1868 an der Weltausstellung in Paris (zu Fuss nach Paris gewandert!) gab wohl den Anstoss, dass er 1870 als 27-Jähriger zusammen mit seinem Berufskollegen August Weber nach Amerika auswanderte.


Im Dreamteam von Edison

In New York arbeiteten die beiden zunächst bei der Nähmaschinenfabrik Singer, wo Krüsi sein Erfindertalent bereits unter Beweis stellte. Beiläufig erfuhren sie von einem Mann, der interessante Experimente und Erfindungen machte. Obschon Singer ihnen sehr gute Angebote machte, meldeten sie sich im 1872 eröffneten Laboratorium von Thomas Alva Edison in Newark und wurden sogleich angestellt.

Thomas Alva Edison (1847–1931) war bereits zu jener Zeit eine Berühmtheit. Edison war wohl ein Genie, aber kein Einzelgänger, er war ein Chef, den man heute als Teamplayer bezeichnen würde. Er hatte ein untrügliches Auge für gute Leute, umwarb sie, beteiligte sie an seinen vielen Firmen, er formte aus ihnen eine Art Dreamteam, eine verschworene Gemeinschaft von Freunden, Innovatoren, Handwerkern, Ingenieuren, Fantasten, Spinnern und Genies. John Kruesi, wie er sich mittlerweile nannte, zählte bald zu den engsten und produktivsten Mitarbeitern von Edison, denn dieser erkannte sehr schnell dessen Talent, handwerklich wegen seiner exakten und präzisen Arbeitsweise, charakterlich wegen seines energischen Charakters, seiner Ausdauer und seiner Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren. Krüsi war war aber loyal, Mitarbeiter und der Chef selber nannten ihn nur «Honest John» («Ehrlicher John»). Edison nannte ihn «seinen begabtesten Maschinenbauer» und vertraute ihm blind, wenn es darum ging, Testmodelle zu bauen. Krüsi ist nach Meinung der Edison-Biographen Robert Friedl und Paul Israel entscheidend für Edisons Erfolge: «Wenn die Erfindungen, die herauskamen, nicht funktionierten, war es, weil sie schlecht waren, nicht weil sie schlecht gemacht waren. Und wenn die Ideen gut waren, so beweisen es die Produkte aus Krüsis Werkstatt».

Die beiden ergänzten sich hervorragend: Edison war der „Visionär“, dessen Erfindergeist nur so sprudelte von Ideen. Krüsi war der geniale Konstrukteur, der die Ideen Edisons in die Praxis umsetzen konnte, Grundlage dafür war sein Talent als geschickter Mechaniker. Steile Karriere Edison machte Krüsi zunächst zum Leiter der Maschinenwerkstatt und später zum Chef des Labors in Menlo Park, wo Krüsi bei allen epochemachenden Erfindungen, die Edison zugeschrieben werden, mitwirkte, wie dem Phonographen, der Glühbirne, einem Grossgenerator und vielen andern mehr. Dazu fand er Zeit, immer wieder erfinderisch tätig zu sein: Neben den Kruesi-tubes liess er 9 weitere Erfindungen patentieren, z. B. ein selbst klebendes Isolierband oder Stromabnehmer von Strassenbahnen mit unterirdisch geführten Kontaktleitungen.


Genialer Konstrukteur

Am 4. Dezember 1877 fand Kruesi auf der Werkbank eine sehr einfach gehaltene Skizze mit dem Vermerk: Kruesi, make this! Kruesi fragte:«Was soll denn das werden?» «Die Maschine muss sprechen können», entgegnete Edison. Kruesi machte sich an die Arbeit und tüftelte, pröbelte und bastelte zwei Tage lang, bis eine Maschine gebaut war, die der vagen Vorstellung Edison’s entsprach. Als Edison den Phonographen zum ersten Mal sah, drehte er die Kurbel und nahm einen Kinderreim auf: Mary had a little lamb; (Mary hatte ein kleines Lamm,) Its fleece was white as snow; (
Sein Fell war weiss wie Schnee,
) And everywhere that Mary went, (Und überall, wohin Mary ging,
) the lamb was sure to go. (Da ging das Lamm mit hin.)


1927 liess Edison, zu jenem Zeitpunkt schon ein alter Mann, den Vers noch einmal aufnehmen, da das Original von 1878 inzwischen verschollen war. Das Tondokument kann man heute noch anhören.

Vom Ingenieur zum Unternehmer

1886 bedrohte ein Streik das junge Unternehmen Edisons. Die Räumlichkeiten in Menlo-Park genügten nicht mehr. Krüsi fand geeigneten Ersatz in Schenectady, wohin der Betrieb 1887 verlegt wurde. Damit stieg Krüsi vom Werkmeister zum General Manager für den Fabrikausbau der aufstrebenden Firma General Electric auf. Kruesi war auch massgeblich an der Erfindung der Glühbirne beteiligt. Als Chef des Labors in Menlo Park, dann Schenectady experimentierte er mit Platin- und Karbonfäden, konstruierte und fertigte mechanische Teile, testete Pumpen und Glaskolben. Nach mehr als einjähriger Arbeit, nach Fehlschlägen, Enttäuschungen und Anfeindungen erfolgte am 19. Oktober 1879 der Durchbruch: Die erste Glühbirne mit einem verkohlten Faden aus Nähgarn brannte während 45 Stunden! Eine Pioniertat war auch Kruesi’s Bau des Dynamos für die Lichtanlage auf dem Dampfer „Columbia.“

Die Folge war der Aufbau eines kommerziellen Stromnetzes, um die neue Lichtqualität in die Häuser zu bringen. Kruesi leitete die neue Firma „Electric Tube“, welche erdverlegte isolierte Kabel für Gleichstrom herstellte, die sogenannten „Kruesi-Tubes“, Leiter in Eisenrohren mit heissem Teer als Isoliermaterial ausgegossen. Sie fanden ihre Anwendung in der ersten Central Station in New York und somit dem ersten Stromnetz in Manhattan. Es beschränkte sich anfangs auf ein Gebiet von rund 600m auf 800m und versorgte in der Pearl Street rund 800 Glühfadenlampen. Bereits nach einem Jahr waren es über 500 Teilnehmer mit mehr als 10’000 Lampen. In der Folge wuchs das Netz auf über 30 km Kruesi-Tubes. Die Kabelfabrik wurde in die Firma „Edison Machine Works“ integriert, deren stellvertretender Direktor Kruesi wurde, bis er 1886 die Leitung übernahm. 1889 wurde die Maschinenfabrik, jetzt integriert in „Edison General Electric“ nach Schenectady, New York, verlegt mit Kruesi als stellvertretendem Chef. 1892 wurde daraus, wieder mit Fusionen, die heute noch existierende General Electric Company, Kruesi war jetzt General Manager im angestammten Firmenteil. Allein dieses Unternehmen wuchs in 6 Jahren von 200 auf 4000 Mitarbeitende! Ein letzter Karriereschritt machte Kruesi 1896 zum Chief Mechanical Engineer (Chefingenieur) von General Electric. Neben der Firmentätigkeit war er auch als Sachverständiger beim Bau der U-Bahnen von Boston und Baltimore beteiligt.

Glück in Beruf und Familie

Er heiratete 1873 in den USA die Thurgauer Apotheker-Tochter Emily Zwinger, die beiden hatten acht Kinder. Von seinem Vater hat er wohl nie etwas erfahren, und auch vom Leben seiner Mutter gibt es keine Aufzeichnungen. John Kruesi starb 1899 im Alter von nicht einmal 56 Jahren, zwei Jahre nach seiner Frau. Sein Begräbnis sei dasjenige eines Königs gewesen, wird ein Freund Krüsis zitiert. Die Familie blieb in Amerika, wo sich heute noch Nachkommen an ihren berühmten Vorfahren erinnern. Auch die Firma General Electric hält das Andenken an ihren Gründer bis heute hoch. Die Stadt Chattanooga im Bundesstaat Tennessee verleiht seit 2001 den "Kruesi Spirit of Innovation Award".

Der Gemeinschaft verpflichtet

Obwohl er in den USA reich und wohl auch glücklich wurde, muss er die Erinnerungen an seine Heimat hoch gehalten haben, denn sein Sohn Walter-Edison Kruesi, dem Edison Pate war, legte die ausserrhodische Walter-Edison-Kruesi-Stiftung mit einem Kapital von 100’000 Dollar an „für Projekte, die das Leben der Bevölkerung verschönern und bereichern, zur Förderung der öffentlichen Gesundheit, zur Anlage einfacher, kleiner, netter Parks und Spielplätze und allenfalls auch zur Gewährung von Stipendien, um fähigen, vielversprechenden jungen Leuten mit gesundem Gemeinsinn höhere Studien zu ermöglichen oder zu erleichtern.“

Beitrag Radio SRF vom 4.8.2014

  • In der Sommerserie "Sache gits: vo kreative Chöpf und grosse Würf" hat Radio SRF einen Beitrag zu John Krüsi ausgestrahlt. Nebst einer Audiodatei sind auch Fotos von John Krüsi vorhanden.

Sache gits: vo kreative Chöpf und grosse Würf

Quellen:
Historisches Lexikon der Schweiz
Helmut Stalder: «Verkannte Visionäre. 24 Schweizer Lebensgeschichten». Erschienen im Verlag Neue Zürcher Zeitung. ISBN 978-3-03823-715-0