Hausversetzungen

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Speicher ist bezüglich Hausversetzungen eines der am besten dokumentierten Dörfer und deshalb bei Historikern äusserst beliebt für entsprechende Forschungsarbeiten. Katharina Baumann hat im Jahre 2009 die Hausversetzungen in Speicher in ihrer Lizentiatsarbeit untersucht.

Quellenlage in Speicher

  • Speicher hat bezüglich Hausversetzungen eine aussergewöhnliche Quellenlage:
  • Häuserinventar (Johann Bartholome Rechsteiner, 1810/15)
  • Dorfchronik (Bartholome Tanner, 1853)
  • Assekuranzbuch (1854)
  • Unterpfandprotokolle
  • Kaufprotokolle

Die Beschreibung der Gemeinde Speicher im Kanton Appenzell (von 1614 bis 1850) von Bartolome Tanner, Lehrer (1853), enthält ein Verzeichnis aller Häuser der Gemeinde, wo immer möglich mit dem Datum ihrer Erbauung. Da kommen eine ganze Reihe von Notizen über Versetzungen vor, unter andern:

  • Röhrenbrugg No. 15 u. 26, wurde 1720 hieher versetzt.
  • Brand No. 61, gebaut 1696, wurde 1724 vom Tobel hieher versetzt.

  • Töbeli No. 95, geb. 1705, bis 1808 Schulhaus, wurde 1813 vom Oberdorf hieher versetzt.

  • Oberwilen No. 115, geb. 1764, der Stadel ist älter, wurde von der Röhrenbrugg hieher versetzt.
  • 
Kohlhalde No. 173, 1786 von der Gemeinde Wald hieher versetzt.

  • Kohlhalde No. 181, geb. 1778, stand früher beim Habsacher Steg.


Anmerkung: Die Hausnummern in der Chronik von Tanner entsprechen nicht mehr den aktuellen Assekuranznummern. Da manchmal auch die ursprüngliche Hausnummer geändert wurde und die Notizen im Grundbuch nicht in jedem Fall lückenlos sind, ist es oft schwierig, herauszufinden, wo welches Haus heute steht oder gestanden hat. Naturgemäss sind die hier aufgeführten Fälle verhältnismässig jungen Datums, ist doch das älteste Haus der Gemeinde Speicher erst aus dem Jahr 1614 datiert.

Dazu kommen Quellen zu den Einwohnern, wie sie andernorts auch zu finden sind:

  • Steuerverzeichnisse
  • Volkszählungen
  • Familienregister
  • Tauf-, Ehe- und Totenbücher

Versetzungen von 1614 bis 1853

Bis ins 16. Jahrhundert gehörten Häuser zur sogenannten „Fahrhabe“, das heisst, der Hausbesitzer stellte sein Haus beispielsweise auf dem Grundstück seines Arbeitgebers auf. Zog er weg, zerlegte er das Haus und nahm es mit. Ab dem 16. Jahrhundert gehörten die Häuser nicht mehr zur Fahrhabe, dennoch wurden Häuser weiterhin versetzt. Für Speicher sind für den Zeitraum 1614 bis 1853 37 Versetzungen von insgesamt 33 Häusern dokumentiert, im Detail: 5 Versetzungen aus einer anderen Gemeinde nach Speicher 6 Versetzungen aus Speicher in eine andere Gemeinde 24 Versetzungen von Speicher nach Speicher Naturgemäss sind die hier aufgeführten Fälle verhältnismässig jungen Datums, ist doch das älteste Haus der Gemeinde Speicher erst aus dem Jahr 1614 datiert.

Gründe für diese Versetzungen

  • Veränderte familiäre Verhältnisse (3), z.B. Haus Schönbühl
  • Entschädigung (1)
  • Finanzielle Gründe (1)
  • Mietzwecke (2)
  • Hauptgrund: Von einem Neubau verdrängt (16)

Prioritärer Bau der Kirchhöre (4), z.B. Neubau Schulhaus) Privater Neubau (12), z.B. Haus Landammann Zuberbühler

Resultate

Katharina Baumann weist nach, dass die Hausversetzungen im beobachteten Zeitraum hauptsächlich drei gesellschaftlich relevante Merkmale aufweisen: Sinnbild für räumliche Mobilität – auch Sinnbild für eine dynamische Gesellschaft Verkäufer: eine wirtschaftlich-politische Dorfoberschicht, die im Dorfzentrum wohnt > Hausversetzung zur Deckung der Kosten & sozialen Differenzierung Käufer: Hintersässen, Beisässen > als wirtschaftlich Schwächere Nutzniesser eines Gebrauchtgütermarkts

Versetzungen nach 1853

Auch nach dem betrachteten Zeitraum (1614 bis 1853) waren Hausversetzungen noch häufig, Hauptgrund wurde mehr und mehr die Änderung von Strassen- resp. Schienenverläufen.

Buchenstrasse 3, 1980

Das Haus als Fahrhabe - historische Betrachtung

Salomon Schlatter, St. Gallen, beschreibt in „Das Haus als Fahrhabe“ im Schweizerischen Archiv für Volkskunde Band 16, 1912 die Verhältnisse für die Gegend um St. Gallen:

Das „Hofrecht" des Gerichtes Tablât vom Jahr 1527 (zum Stammgebiete des fürstäbtischen Stiftes St. Gallen, dem sog. „Fürstenland" gehörig) enthält als 1. Artikel:
„1. Item des ersten, so ist mengclichem zu wissen, was gelegen gut (unbewegliches Sachgut, Red.) ist und genempt soll werden, nemblich wingarten, ackren, wisen, bomgarten ectr. und dazu ewig, onablösig zins und gemurot stock oder gemuroti hüser.
2. Jtem varend gut ist alle varende hab (bewegliches Sachgut, Red.), wie die namen hat, es sige gelt, geltschuld, vin, körn, vych, roß, rinder, kühen, schwin und derglich, auch hett, bettgwand, linwat, claider, clainot, tuch, kessi, pfannen, häfen, zinnigschier und alles anders, daz fareiit ist und dartzu ablösig zins, höltzini hüser, spicher und städel, doch die hofstetten*, wie wit das tach rof begryft, ist ligent, und soll der, so das hus oder zimbri behalt, das verzinsen nach billicheit und erkanntnus ains gerichtz." (Aus Max Gmür, Die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen, 1. Band, Seite 227; Aarau 1903)

* Unter dem Begriff Hofstatt wird … ein abgegrenztes, in eine Herrschaft eingebundenes Grundstück auf dem Land oder in der Stadt verstanden, das mit einem Haus oder dem Bau eines Hauses verbunden ist. … Hofstätten erfüllten eine wichtige Rechtsfunktion. Haus und Parzelle bildeten einen eigenen, streng gewahrten Friedensbezirk. Alle Rechte und Pflichten des Bürgers (Steuern, Wehrdienst, Zugang zu Gerichten, Wahl in den Rat) beruhten ursprünglich auf dem Besitz eines Grundstücks innerhalb der Stadtmauern. Im Fall von Gründungsstädten oder planmässigen Stadterweiterungen wurden die neu zu bebauenden Hofstätten jeweils vom Stadtherrn als Erblehen zu gleicher Grösse an einzelne Stadtbewohner verliehen. Diese hatten dafür einen festen Grund- oder Hofstättenzins zu entrichten. … Der Stadtherr beanspruchte das Obereigentum an den Grundstücken, die er den Nutzern zur Verfügung stellte. (aus: Historisches Lexikon der Schweiz)