Gedanken zu Freiheit und Verfassung 1823

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In den ersten Jahren ihres Bestehens beschäftigte sich die Sonnengesellschaft an ihren monatlichen Versammlungen vorwiegend mit freien Diskussionen und dem Aufbau einer eigenen Bibliothek. Erst 1823, drei Jahre nach ihrer Gründung, wurde damit begonnen, dass Mitglieder Themen freier Wahl in einer sogenannten „Vorlesung“ vortrugen und anschliessend zur Diskussion stellten. Manchmal wurde aus Zeitschriften oder Büchern ein Text vorgelesen, manchmal eine sogenannt „eigene Arbeit“ vorgestellt.

Politisch motivierter Vortrag

Am 11. November 1824 trug Johann Heinrich Tobler in einem Vortrag seine Gedanken zu Freiheit, Verfassung und Gesetzen vor. Der handschriftliche Vortrag wurde anschliessend in die Sammlung der „Relationen“ eingebunden. Es befindet sich im Privatarchiv der Sonnengesellschaft im Staatsarchiv AR in Herisau.

Tobler betitelt seinen Vortrag mit dem sperrigen Titel „Flüchtig hingeworfene Gedanken über Freiheit, Vaterland Verfassung und Gesetze“

Ausdruck einer bewegten Zeit

Der Vortrag ist Ausdruck der Zeit der Restauration, in der konservative und liberale Kräfte um die Vorherrschaft rangen. Die Sonnengesellschaft gehörte, ebenso wie beispielsweise die neu entstandenen Gesangs- und Turnvereine und ab 1828 auch die Appenzeller Zeitung zu den Vorkämpferinnen des freiheitlichen Denkens. Der Vortrag Toblers umschreibt als Vision jene liberale Grundhaltung, die den Ideen der Französischen Revolution zugrunde lag. Seine Kritik bezieht sich auf die kantonalen Verhältnisse, die ihm aus der Praxis als Sekretär des Distriktsgerichts (1798 bis 1803), als Landschreiber (1803 bis 1816) und als Landsfähnrich (1816-1817) bestens geläufig waren.

Zeitreise mit Philipp Langenegger

Im Rahmen des Jubiläums „200 Jahre Sonnengesellschaft“ wurde der Vortrag transkribiert und sprachlich leicht angepasst. Schauspieler Philipp Langenegger lässt den Abend des 11. November 1824 neu aufleben. Der Vortrag dauert rund 30 Minuten, der Trailer rund 5 Minuten. Eine Textdatei mit der dem Video zugrunde liegenden Version des Vortrags ist hier verfügbar.

Trailer zum Vortragsvideo

"Vorlesung": Gedanken zu Freiheit, Verfassung und Gesetze



Der 2. Artikel im Landbuch

Tobler bezieht sich in seinem Vortrag auch auf den oft zitierten und umstrittenen 2. Artikel im Landbuch (Kantonsverfassung), das damals einer Revision unterstand. Die Sonnengesellschaft (zusammen mit der damals noch existierenden Schützengartengesellschaft) engagierte sich denn auch mit einer von Tobler mitverfassten Eingabe in der Vernehmlassung zur Revision des Landbuchs, scheiterte aber mit ihrem Anliegen. Walter Schläpfer schreibt in seinem Aufsatz „Die Landsgemeinde von Appenzell Ausserrhoden“ in „Das Land Appenzell“, Verlag Appenzeller Hefte Herisau, 1965: Der berühmte zweite Artikel im Landbuch gewährte das Initiativrecht in einer scheinbar sehr demokratischen Form, dennoch war er nicht geeignet, einer Opposition ein genügendes Ventil zu bieten. Er machte das Volksrecht der Initiative von einer doppelten rhetorischen Leistung vor dem Grossen Rat und der Landsgemeinde abhängig und verlang- te einen überdurchschnittlichen Mut. Daher sagte der liberale Dr. Heim in der Revisionskommission von 1831, der Artikel sei eine Fussangel für den freien Mann, denn nicht jedem sei es gegeben, vor dem versammelten Volk zu reden, und somit wäre nur dem Frechen die Türe geöffnet, dem Schüchternen und Bescheidenen dagegen sei es ver- unmöglicht. (...)


Transkription: Erich Zellweger und Peter Abegglen
Fachliche Assistenz: Heidi Eisenhut, Patric Schnitzer
Sprachliche Anpassungen: Béatrice Frehner-Salathé
Aufnahme/Schauspiel: Philipp Langenegger
Videobearbeitung: Leo Graf
Idee und Realisation: Sonnengesellschaft und wikispeicher.ch

Speicher, November 2020