Feine Socken aus Speicher: Unterschied zwischen den Versionen

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Da vor Ort keine Ausbaumöglichkeiten bestanden, suchte Oscar Rohrer ein neues Domizil.<br>
Da vor Ort keine Ausbaumöglichkeiten bestanden, suchte Oscar Rohrer ein neues Domizil.<br>
Diverse Angebote aus dem Appenzellerland, wo alte, aber unzweckmässige Fabrikationsgebäude zur Verfügung standen, wie z.B. das nachmalige Lanker-Gebäude in Speicher kamen für Oscar Rohrer aber nicht in Frage, denn sie konnten in räumlicher Hinsicht nicht befriedigen. Daher entschloss er sich 1938 zu einem Neubau in der Speicherer Reutenen, welcher noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 bezogen werden konnte.<br>
Diverse Angebote aus dem Appenzellerland, wo alte, aber unzweckmässige Fabrikationsgebäude zur Verfügung standen, wie z.B. das nachmalige Lanker-Gebäude in Speicher kamen für Oscar Rohrer aber nicht in Frage, denn sie konnten in räumlicher Hinsicht nicht befriedigen. Daher entschloss er sich 1938 zu einem Neubau in der Speicherer Reutenen, welcher noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 bezogen werden konnte.<br>
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Sockenfabrik Neubau 1939 1.jpg  | Neubau 1939 Fundament 
Sockenfabrik Neubau 1939 2.jpg | Neubau Aufgerichtet
Sockenfabrik Fabrikgebäude 1940.jpg | Sockenfabrik um 1941
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Sockenfabrik Oskar Rohrer 1893-1955.jpg | Oscar Rohrer 1893-1955   
Sockenfabrik Oskar Rohrer 1893-1955.jpg | Oscar Rohrer 1893-1955   

Version vom 23. März 2022, 14:19 Uhr

Aufbau der «Trèfle» Sockenfabrikation

Oscar Rohrer - links aussen

Oscar Rohrer, geb.1893, aus einer Textilfabrikantenfamilie stammend, gründete 1928 im elterlichen Fabrikgebäude in Romanshorn eine Sockenfabrik unter dem Namen «Trèfle», als eine der ersten Fabriken dieser Art in der Schweiz.
Nebst den Maschinen für die Herstellung von Herrenstrumpfwaren mussten Werkmeister und Arbeiter mitbeschafft werden, damit die Produktion überhaupt zum Laufen gebracht werden konnte. Hierzulande war diese Art von Fabrikation noch völlig unbekannt. So kam es, dass ganze Familien vom Strumpfzentrum Sachsen, vorwiegend aus Chemnitz und Umgebung in die Schweiz übersiedelten. Trotz der unvermeidlichen Anfangsschwierigkeiten und den darauffolgenden Weltwirtschaftskrisenjahren entwickelte sich das Geschäft, auch unter tatkräftiger Mitwirkung seiner Ehefrau Gertrud Rohrer-Staehelin (1900 - 1983) weiter. Gegen Ende der Dreissigerjahre nahm der Absatz richtig Fahrt auf, so dass die Fabrikationsräume am Bodensee zu klein wurden.

Von Romanshorn nach Speicher

Da vor Ort keine Ausbaumöglichkeiten bestanden, suchte Oscar Rohrer ein neues Domizil.
Diverse Angebote aus dem Appenzellerland, wo alte, aber unzweckmässige Fabrikationsgebäude zur Verfügung standen, wie z.B. das nachmalige Lanker-Gebäude in Speicher kamen für Oscar Rohrer aber nicht in Frage, denn sie konnten in räumlicher Hinsicht nicht befriedigen. Daher entschloss er sich 1938 zu einem Neubau in der Speicherer Reutenen, welcher noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 bezogen werden konnte.

Sohn Alfred (1921-2014) machte nach einer Ausbildung an der Ecole supérieure de commerce in Neuchâtel eine Zusatzausbildung an der Textilfachschule in Chemnitz, wo zu jener Zeit auch die besten Sockenstrickmaschinen hergestellt wurden. Kurz vor der Ausbruch des 2. Weltkrieges musste er Hals über Kopf abreisen und in die Schweiz zurückkehren und in die Firma eintreten.

Schwierige Kriegsjahre

Die folgenden Kriegsjahre brachten das junge Unternehmen in grosse Schwierigkeiten, wie sie auch andere Industriezweige zu bewältigen hatten. Die grösste Sorge ging von der Beschaffung von Rohmaterialien aus. Man versuchte Wolle und Baumwolle durch Mischgarne zu ersetzen und war glücklich, wenn man nur wenig dieser Ersatzstoffe erhielt. Oftmals mussten sogar Maschinen stillgelegt werden, da der Nachschub an Nadeln vom Ausland her stockte und es keinen inländischen Ersatz gab.
Schwierig war auch der Absatz der erzeugten Produkte, waren doch feine Herrensocken nicht unbedingt das, was man nun am dringendsten brauchte. Dem beweglichen Unternehmer eröffnete sich aber ein weiteres Absatzgebiet in Form von groben und soliden Militärsocken für die Armee.
Kurz nach Beendigung des Krieges war auch sein zweiter Sohn Hansjörg (1926-2006), welcher eine Banklehre absolviert und sich im In- und Ausland das notwendige Rüstzeug erworben hatte, in die elterliche Firma eingetreten. Mit vereinten Kräften wurde nun an der Weiterentwicklung der Firma gearbeitet und so konnte bereits 1948 der erste Fabrikanbau erstellt werden.

Vollautomatische Maschinen

Nach dem Kriegsende hatte die Siegermacht Russland ganze Strickmaschinenfabriken in Sachsen abgebrochen und alles verwertbare Metall in den Osten verfrachtet.
Daher begab sich Oscar Rohrer mit seinem Sohn Alfred nach dem in dieser Branche nun führenden England, um neue Maschinen einzukaufen. Neue Strickautomaten ersetzten sukzessive den veralteten Maschinenpark, so dass er in wenigen Jahren komplett erneuert war.
Vollautomatisch konnte nun alle vier bis sechs Minuten eine elegante «Trèfle» Socke produziert werden. Eine Mitarbeiterin war in der Lage, bis zu sieben dieser Maschinen zu beaufsichtigen.
Dank dieser Automatisation arbeiteten in der Abteilung, wo die eigentliche Socke hergestellt wurde, am wenigsten Leute. Der Grossteil der Arbeitskräfte war mit manuellen Arbeiten beschäftigt, wie:

  • Einrichten der Maschinen (Muster programmieren)
  • Formen der Socken
  • Spulen des Strickgarns
  • Ketteln der Socken (Verschluss der Fussspitze) und
  • Repassieren (Schlusskontrolle)

Dazu kamen noch Arbeiten für Spedition, Transport und Büro.

Von der Einzelfirma zur AG

1953 wurde aus der Einzelfirma die Oscar Rohrer AG.
Nach dem frühen Tod des erst 62 - jährigen Patrons Oscar Rohrer im Jahr 1955 leiteten nun beide Brüder als neue Inhaber gemeinsam die Firma, Alfred als Verwaltungsratspräsident. Er übernahm hauptsächlich den technischen Teil und das Design der Socken. Hansjörg war als Kaufmann für das Finanzwesen zuständig.
Trotzdem waren beide viel unterwegs, im Verkauf und um weitere Absatzmärkte zu erkunden. Bei Abwesenheit beider Geschäftsinhaber übernahm Hansjörgs Frau Elsbeth, die Leitung der Fabrik. Sie war auch für Materialnachschub und Spedition verantwortlich.
Nun ging es rasant aufwärts.

Anbau mit Sheddach

1961 entstand ein zweiter topmoderner Anbau mit Shedkonstruktion (Sägezahndach). Die neue Sheddach-Halle wies auf der ganzen Länge und Breite von je 24 Metern keine einzige Stütze auf, was absolute Freiheit beim Aufstellen der Strickautomaten erlaubte.
Rationell arbeitende Transportbänder neuester Konstruktion sorgten für den innerbetrieblichen Verkehr des Arbeitsgutes von einem Arbeitsplatz zum andern.
Während des Aufbaus der Dach-Konstruktion kam es zu einem schweren Arbeitsunfall. Beim Baukran war der Ausleger eingeknickt und traf einen Mitarbeiter so unglücklich, dass dieser schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Zur damaligen Zeit hatten die meisten Arbeiterinnen in Speicher Zimmer gemietet. Zwei Personalhäuser an der Teufenerstrasse 10 und 38 sorgten dafür, dass auswärtige Mitarbeiterinnen einen kurzen Arbeitsweg bekamen. Für diese waren im Untergeschoss des Neubaus zwei Duschräume erstellt worden, die denn auch rege benutzt wurden.

1961 Erweiterungsbau mit Sheddach:


1961 wurde Hansjörg Rohrer in den Gemeinderat gewählt, welchem er bis 1970 angehörte. Alfred Rohrer war Mitglied der Wirtschaftskommission. Ausserdem war er langjähriges Vorstandsmitglied des Fachverbandes «Schweizerischer Wirkereiverein».

Vielfältiges Angebot

Der Film aus den 1960 Jahren zeigt eindrücklich die damals hochmoderne Sockenproduktion:


1981 wurden Baumwoll-, Woll-, Seiden-, Cashmere-, Helanca- (Nylon), Rislan- (aus Rizinusöl) und Orlongarne zu feinen Herren-, Damen- oder Kindersocken verarbeitet.
Als Spezialität erzeugte die Oscar Rohrer AG über längere Zeit die Socke «Actifresh» aus Rislan, welche speziell gegen Geruchsbildung, Fusspilz, und Ekzeme wirkte.
Nebst den bekannten feinen, eleganten Socken waren auch modisch knallige Popart-Socken im Angebot. Dazu wurden Militär-, Berg-, Wander-, Ski-, Tennis-, und Langlaufsocken sowie Strumpfhosen für Kinder produziert. Eine riesige Vielfalt an Socken verliess Speicher in alle Welt.
Die Jahresproduktion lag in Spitzenjahren bei rund 720'000 Paar Socken. Dafür arbeiteten rund 80 Mitarbeiter*innen im Dreischichtbetrieb. Daneben waren 6 Heimarbeiterinnen mit Ketteln beschäftigt, um bei den Strümpfen die Fussspitze zu verschliessen.
Die Trèfle-Socken blieben ein exklusives Produkt aus edlen Rohmaterialien. Zur Kundschaft gehörten in erster Linie Spezial- und Sportgeschäfte, aber auch gehobenere Warenhäuser.
Selbst Himalaya-Bergsteiger wie Raymond Lambert oder René Dittert sollen bei ihren Expeditionen Rohrers Bergsocken getragen haben. Bis zu 20% der Produktion wurden exportiert in rund 20 Länder auf allen fünf Kontinenten.

Sozial verantwortlicher Arbeitgeber

Die neuen Besitzer waren um die Arbeitsatmosphäre sehr besorgt.
Die Oscar Rohrer AG verfügte schon früh über einen Fürsorgefonds, eine Alterssparkasse, eine Todesfall-Risiko-Versicherung für Männer und eine Betriebskrankenkasse.
Ein ausgesuchtes Musikprogramm berieselte vor- und nachmittags während je einer Stunde zur Entspannung die Arbeitsplätze, was vom Personal sehr geschätzt wurde.

Verkauf der Firma

Nachdem die Brüder Alfred und Hansjörg die Firma 27 Jahre gemeinsam geführt hatten, entschlossen sie sich, die «Oscar Rohrer AG» trotz guter Auftragslage mangels eigener Nachfolger zu verkaufen.
1982 kaufte der Rheinecker Otmar Bachmann die Firma. Bachmann, ein Fachmann der Socken- und Strumpfbranche, übernahm die Belegschaft von rund 60 Personen und führte das Unternehmen als Trèfle AG an seinem alten Sitz in Speicher weiter.

Erste finanzielle Turbulenzen

1987 kam es zu ersten finanziellen Turbulenzen, die durch die Kantonalbank als neue Mehrheitsaktionärin und den Einstieg einiger ortsansässiger Industrieller aufgefangen werden konnten. Neuer Firmenchef wurde Martin E. Glaettli aus Rehetobel.
1989 konnte die Trèfle AG dank der Teilübernahme von Produktesegmenten der Boni-Tex AG in Niederwil erstmals sowohl im Inland wie im Ausland eine voll integrierte Produktpalette anbieten. Der Geschäftsgang war aber weiterhin unbefriedigend und blieb deutlich unter den gesetzten Zielen.
1991 waren die wirtschaftlichen Schwierigkeiten derart gross, dass die Kantonalbank die Firma mit noch 45 Mitarbeitenden an die Scherlerei Eduard Tanner AG verkaufte. So sozialverträglich wie möglich wurde die Sockenfirma liquidiert.

Trèfle Socken geht an Jakob Rohner AG

Die Marke «Trèfle» wurde der bekannten Sockenfirma Jacob Rohner AG in Balgach überlassen, die auch einige Produktionsanlagen übernahm. Der grosse Teil der Strickmaschinen wurde aber in die Türkei verkauft, da man die Herstellung von «gewöhnlichen» Socken in der Schweiz als nicht mehr kostendeckend erachtete.
Die Gebäulichkeiten werden jedoch bis heute von der Scherlerei Tanner AG genutzt.