Mausoleum für deutsche Kriegshelden

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Als Speicher beinahe eine Kriegergedenkstätte bekam

In seinen Memoiren zur Entstehung des Toblerdenkmals erwähnt Hans Eggenberger die fast gleichzeitig voran getriebene Idee zur Errichtung einer Kriegergedenkstätte für deutsche Soldaten, die während des ersten Weltkriegs in der Schweiz interniert wurden, in der Schweiz verstarben und auf verschiedenen Friedhöfen beerdigt wurden. Grund für eine gemeinsame letzte Ruhe- und Gedenkstätte war - neben propagandistischer „Heldenverehrung“ - die in der Schweiz übliche Aufhebung der Gräber nach zwanzig Jahren.

Treibende Kräfte für eine Kriegergedenkstätte

Das ganze Vorhaben stand im Zusammenhang mit einer vom Naziregime angeregten Idee einer Art Heldenverehrung. Überall dort, wo ehemalige deutsche Soldaten begraben waren, wurden sie ungefragt zu Helden erklärt und deshalb sollte ihnen ein Denkmal errichtet werden. Als Institution, die diese Aufgabe übernahm, wurde der «Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge» beauftragt. Das reichsdeutsche Konsulat in Zürich koordinierte die Tätigkeiten schweizweit, Ortsgruppen wurden gegründet und sofort aktiv, so der «Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Schweiz, Ortsgruppe St. Gallen». In der Umgebung von St. Gallen plante und unterstützte das deutsche Konsulat in St. Gallen verschiedene Aktionen der Frontisten. So beispielsweise durch den Konsulatsangestellten Josef August Bucher, der wohl beim Vorhaben der Gedenkstätte in der Ostschweiz eine führende Rolle spielte, wie die Polizeiakte aus den 1940er-Jahren vermuten lässt.

Standortsuche mit Blick ins „Reich“

Die Ortsgruppe St. Gallen suchte nach einem prominenten Standort, bevorzugt nach einem Höhenzug, der den Blick weit hinein nach Deutschland ermöglichte, wie es Hans Eggenberger in seinen Memoiren trefflich schreibt: „…Nun, für eine solche, weit im Land draussen sichtbare Steinmasse schien den Initianten aus dem Norden das Haupt von Vögelinsegg wie geschaffen. Es liess sich hier vorstellen, wie die verstorbenen Helden ihr Heimatland im Norden grüssen.“
Die Anhöhe von Vögelinsegg scheint bei den Frontisten eine grosse Symbolkraft gehabt zu haben, fand doch am 5. Juli 1938 ein Programmteil der Gautagung von St. Gallen auf Vögelinsegg statt.

Anfrage und Absage in Speicher

Adolf Hauke, Druckereiinhaber in Speicher

Die erste Standortidee war neben Teufen vor allem Speicher mit der Vögelinsegg. Buchdrucker Adolf Hauke (er druckte in Speicher für die Frontisten Zeitschriften, Flugblätter etc.), ein Pfarrer aus Konstanz, wohl auch Josef August Bucher aus St. Gallen, erkundigten sich bei Gemeindehauptmann Locher von Speicher, wie sich die Behörden zum Bau eines Kriegerdenkmals stellen würden.

Die Idee stiess allerdings auf wenig Gegenliebe, wie ein Auszug aus dem Gemeinderatsprotokoll vom September 1936 zeigt.
Druckereiinhaber Adolf Hauke, deutscher Staatsangehöriger, erscheint in keiner Liste als Nationalsozialist. Dennoch pflegte er eine gewisse Nähe zu den Frontisten, führte er doch in deren Auftrag wiederholt Druckaufträge aus. Für die Anfrage in Speicher dürfte er die Rolle eines "Türöffners" gespielt haben.







Gemeinderatsprotokoll vom September 1936

Gemeinderatsprotokoll Speicher, Dez- 1936.png

Unter dem Titel „Allgemeine Umfrage: deutsche Kriegerdenkstätte“ findet sich dort folgender Eintrag:

Hr. Hauptmann Locher relatiert, dass vor einiger Zeit Herr Adolf
Hauke, Buchdrucker in Speicher, mit 4 deutschen Herren bei ihm vorge-
sprochen sei zwecks beabsichtigter Erstellung einer deutschen Kriegerdenk-
stätte auf dem Höhenzug Vögelinsegg. Herr Hptm. Locher nimmt Rücksicht
auf die historische Bedeutung [Denkmal an die Schlacht bei Vögelinsegg von 1403] des in Frage kommenden Bauplatzes; ferner
dürfen auch etwelche eventuell nachteilige spätere Folgeerscheinungen in poli-
tischer Hinsicht nicht ganz ausser acht gelassen werden. In Berücksichtig-
ung dessen, hat Hr. Hptm. Locher sich dem Gesuche der deutschen Herren
negativ verhalten. Diese Auffassung bezw. das Vorgehen des tit. Hauptmann-
amtes wird durch den Gemeinderat diskussionslos sanktioniert.

Bauvorhaben auf Kurzegg

Baueingabe Grundriss

Die Frontisten liessen allerdings nicht locker. Auf Kurzegg erwarb rund vier Monate später ein Schweizer Architekt aus St. Gallen vom Kurzegg-Wirt auf dem Hügelzug westlich des Gasthauses Kurzegg ein Stück Bauland von ursprünglich 900 m2 für den Bau einer „einfachen, schlichten Soldatengedenkstätte“ für die in der Ostschweiz verstorbenen und auf verschiedenen Friedhöfen begrabenen deutschen internierten Soldaten.
Die Baupläne (sie befinden sich nebst andern Unterlagen zur Baueingabe in der "Baudokumentation, Stadt St.Gallen") waren bereits erstellt und sahen ein Mausoleum von über 30m Länge und und 16m Breite mit Ehrenhalle und weithin sichtbarem, 12 m hohem Turm vor.





Misstrauen in Bevölkerung und Politik

Sowohl in Speicher und vor allem dann in St. Gallen regte sich nach ersten Gerüchten des Vorhabens heftiger Widerstand. Nochmals Hans Eggenberger: „Doch die ortsansässige Bevölkerung war nicht einverstanden. Die wildesten Gerüchte erhoben sich. Es hiess, die Errichtung eines Ehrenmals sei nur ein Vorwand, in Wirklichkeit sei geplant, eine deutsche Festung zu bauen. Der Hinweis auf vermehrten Fremdenverkehr und damit vermehrte Einnahmen nützte gar nichts. Die Leute um Vögelinsegg kannten nur Denkmäler bestehend aus einer bescheidenen Figur oder einer Kapelle, nicht jedoch solche monumentalen, massigen Steinbauten, wie sie hier geplant waren, die selbst die tapferen Ritter des Mittelalters in ihren Gräbern vor Neid hätten blass werden lassen. Die ungewohnten Ausmasse des geplanten Denkmals mögen viel dazu beigetragen haben, dass das Festungsgerücht von vielen Leuten für bare Münze genommen wurde, dies umso mehr, weil damals jede deutsche Handlung mit Kriegsrüstung in Zusammenhang gebracht wurde. Es erhob sich ein solcher Sturm gegen dieses Denkmalprojekt, dass deren Urheber von ihrem Plan abliessen (…). …“
Auch für den Standort Kurzegg lösten sich die Pläne in Luft auf, denn nicht nur die Bevölkerung, auch die Politik (Kantons- und Regierungsrat) - unterstützt durch Berichte in den Tageszeitungen „Ostschweiz“, „Volksstimme“ und „Tagblatt“, sowie einer Einschätzung des Eidgenössischen Militärdepartements - lehnten die Pläne vehement ab.

Lerchenberg Kriegsgräberstätte.jpg


Lerchenberg bei Meersburg statt Vögelinsegg

Der „Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge“ gab sich mit den negativen Entscheiden in St. Gallen und Umgebung nicht zufrieden und beschloss, die Toten in „heimatlicher Erde“ beizusetzen. Das Denkmal wurde bei Meersburg/Hagnau am deutschen Bodenseeufer auf dem Lerchenberg in den Jahren 1937 und 1938 erstellt. Der Bau des mächtigen, 120 mal 70 Meter grossen Monuments nach dem Vorbild einer germanisch- heidnischen Totenburg, wurde zügig begonnen. Im Dezember 1938 wurden die aus Schweizer Gräbern exhumierten Gebeine von 69 Verstorbenen in einer feierlichen und pompösen Zeremonie per Schiff von Konstanz nach Meersburg übersetzt und anschliessend in der noch unvollendeten Gedenkstätte beigesetzt. Der Monumentalbau wurde zunächst aus Geldmangel, nach dem Krieg aus ideologischen Gründen nicht fertig gestellt und erst nach längeren Diskussionen entschloss man sich 1962, die hohe Umfassungsmauer und die beiden Türme abzubrechen und den Platz in eine schlichte Gedenkstätte als Mahnmal für den Frieden umzuwandeln.
Die Geschichte der Entstehung der Gedenkstätte ist auf einer Infotafel zusammen gefasst.

Doch noch ein Denkmal auf Vögelinsegg

Der Verzicht auf das Bauvorhaben einer monumentalen Kriegergedenkstätte auf Vögelinsegg ermöglichte 1938 an gleicher Stelle die Errichtung des Gedenksteins für Johann Heinrich Tobler, dessen Todesjahr sich damals zum 100. Mal jährte.


Ironie der Geschichte

Vögelinsegg Kapf Lerchenberg.jpg

Bei guter Fernsicht sind alle drei Anhöhen, die im Visier der Nationalsozialisten standen - der Lerchenberg, Vögelinsegg und Kurzegg - in gegenseitiger Sichtweite. Geändert hat sich die Sichtweise.



Text: Peter Abegglen, August 2024

Quellen:
Hans Eggenberger „Das Denkmal“ (S. 13)
Gemeindearchiv Speicher, GSP A.1, 2/5, Seite 128 (Gemeinderatsprotokoll September 1936)
Ernst Ziegler, Stadtarchivar St. Gallen in «Die Ostschweiz» vom 24. und 25. Juli 1974 „Auch St.Gallen sollte eine deutsche Kriegsgräberstätte bekommen“
Baudokumentation, Stadt St.Gallen
Schweizerisches Bundesarchiv: Dokument_0000037; Signatur E4320B#1973/87#49*; Aktenzeichen C.2.1009
Stadtarchiv Meersburg: div. Unterlagen zur Gedenkstätte Lerchenberg