Hofstetter Johann - zerstörte Utopie

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Liste der Russlandschweizer, Eintrag Hofstetter

Ausgangspunkt dieser Geschichte sind die folgenden knappen Angaben:

  • Johann Hofstetter, gebürtig von Speicher, geb. 24. 9. 1892 in Speicher
  • am 9. 8. 1938 als Konterrevolutionär in der Nähe von Moskau standrechtlich erschossen
  • 1958 (1956?) rehabilitiert.

Das Schicksal von Johann Hofstetter ist nur im Zusammenhang mit dem historischen Kontext „Kommunistische Partei der Schweiz“, sowie der Auswanderung von Schweizer Kommunarden ab 1923 nach Russland zu verstehen.

Historischer Hintergrund[Bearbeiten]

Schweizer Kommunisten[Bearbeiten]

Die Zeit um 1918 war geprägt von grossen sozialen Spannungen zwischen Bürgertum und Bauern einerseits und der Arbeiterschaft andrerseits, welche schliesslich im Landesstreik mündeten. Der Abbruch dieses Generalstreiks durch das Oltener Komitee war für viele Arbeiter der SP (Sozialdemokratische Partei) unverständlich, als Folge radikalisierte sich ein Teil der Arbeiterschaft und gründete zusammen mit Altkommunisten die Kommunistische Partei der Schweiz (KPS). Die Wirtschaftskrise zwischen 1920 und 1924 führte zu 100’000 Arbeitslosen. In dieser Zeit wanderten 30’000 Personen aus.

Auf einen Aufruf Lenins zur Unterstützung der infolge der Hungersnot in der Sowjetunion 1921/22 darbenden russischen Bauern und Arbeiter wurde in Berlin das Internationale Arbeiterhilfswerk IAH gegründet, das später Mežrabpom übernahm, eine Firma, die vor allem der Propaganda der Sowjets diente. Fritz Platten, schillernder SP-Nationalrat, Mitglied des Oltener Komitees, später Kommunist (er verhalf Lenin zur Zugfahrt von Zürich nach Petersburg) war Initiant der Auswanderung von Kommunarden nach Russland. Ziel dieses Auswanderungsprojekts war die Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften um am Wiederaufbau Russlands mitzuhelfen. Die Motive dieser Auswanderungswilligen waren weniger Arbeitslosigkeit, als viel mehr Enttäuschung über den Ausgang des Landesstreiks, die Kommunistenhetze jener Zeit, aber auch die Unmöglichkeit, die „Weltrevolution“ in der Schweiz zu erleben. So wurde Russland zu einem ersehnten Ziel, um freier leben zu können und das Leben selber zu gestalten. Auswanderungswillige mussten einen Fragebogen ausfüllen und eine Einzahlung von 3500 Franken leisten. Sowohl Behörden wie bürgerliche Parteien waren nicht unglücklich darüber, die Kommunisten auf eine solch elegante Art loszuwerden, im Raum stand sogar die Ausrichtung eines „Auswanderungsgeldes“ für jeden Auswanderungswilligen. Das erste Auswanderungskontingent wurde nach hartnäckigem Insistieren Plattens dann aber lediglich mit insgesamt 5700 Franken unterstützt (aufgeteilt auf Bund, Kt. ZH, Stadt Zürich und Stadt Schaffhausen).

Auswanderung der Kommunarden[Bearbeiten]

Nachdem eine Besichtigungskommission 1923 eines der in Frage kommenden Güter ausgewählt hatte, erreichte die erste Gruppe von 21 Auswanderern im Oktober 1923 das Gut Nova Lava bei Kanadej, rund 60 km südlich von Moskau. Im März 1924 folgte eine zweite Gruppe von 51 Personen. Die Gründung dieser Landwirtschaftsgenossenschaft „Solidarität“ stand unter einem schlechten Stern. Fast alle Auswanderer waren Facharbeiter aus der Industrie und keiner besass landwirtschaftliche Erfahrungen, geschweige denn Kenntnisse über Produkte und Anbaumethoden. Der Komfort in den Unterkünften war äusserst bescheiden.

Start unter schwierigen Bedingungen[Bearbeiten]

Bereits die erste Ernte, eine Missernte, trug das Ihre zur schlechten Stimmung bei. Die Erträge der landwirtschaftlichen Produkte betrugen teils nur 10% der Erträge aus der Zeit vor der Gründung der Kolonie, teils wegen mangelnder Kenntnisse, teils wegen einer Ratten- oder Hamsterplage, teils aus klimatischen Gründen. Schliesslich gerieten sich die Kommunarden auch noch gegenseitig in die Haare, und die Kolonie in Nova Lava ging in Brüche. Ein Teil verliess Nova Lava und gründete zusammen mit der dritten Gruppe von 39 Neuankömmlingen aus der Schweiz einige Kilometer entfernt in Tjoplovka eine neue Kolonie. Andere kehrten in die Schweiz zurück.

Sämaschine mit Traktor in Tjoplovka um 1924/25

In Tjoplovka wurde sofort mit der Arbeit begonnen: Bau von Scheunen und Ställen, Werkstätten, Aussaat. Im September 1924 sorgten die Schweizer mit ihrem Traktor für Furore - es war der erste Traktor, den die Einheimischen sahen. Auch die 19-reihige Sämaschine Elvorti machte Eindruck. Auch dieser Gründung war kein Erfolg beschieden, so dass ein Teil der Auswanderer bereits 1925 ein neues, Gut betrieb: Uvarova.



Neustart auf Gut Vas’kino[Bearbeiten]

Die vierte und letzte Gruppe von Auswanderern umfasste vor allem landwirtschaftlich geschulte Personen, unter ihnen Käser. Obwohl es in Uvarova besser lief, erwies sich das Gut als zu gross für die Gruppe. Deshalb vereinigten sich die Leute aus Uvarova mit den restlichen Siedlern aus Nova Lava und wagten einen Neustart auf dem Gut Vas’kino, noch etwas weiter südlich. Dabei muss es sich um die wirklich überzeugten Kommunarden gehandelt haben. In dieser Kommune verblieben noch 38 Personen Das neue Gut entwickelte sich tatsächlich zu einem rentablen Betrieb und wurde ein viel besuchtes Mustergut für Milchproduktion und Milchverarbeitung. Wohl auf Vermittlung und mit Unterstützung von Schweizer Politikern, die das Gut besuchten, wurden an die 100 Stück Rindvieh importiert, eine Käserei errichtet. 1929 waren 9 Traktoren im Einsatz, es wurden auch Kurse organisiert u.a. Ausbildungen zu Traktorfahrern, Tierhaltung etc.

Kinderheim Vas'kino

Auf Vas'kino erwarb die Mäzenin Mentona Moser das Gutsgebäude und baute es zu einem Kinderheim um, in dem Waisenkinder eine Bleibe fanden.

Festzuhalten ist, dass alle oben erwähnten Genossenschaften von Fritz Platten dirigiert wurden und auch die Reorganisationen immer auf seine Interventionen erfolgten.



Utopia blieb Wunschtraum[Bearbeiten]

Die zunehmende Zwangskollektivierung und damit der Zusammenschluss von bäuerlichen selbst verwalteten Kolchosen zu industriell geprägten Sowchosen (Staatsgüter) führte ab 1929 zum Verlust der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Genossenschaft. 1930 ging die Schweizer Kommune im Kolchos Vas’kino auf, ab 1933 wurde der Kolchos zum Versorgungsbetrieb für das Moskauer SIL Autowerk Lichatschow, somit ein Staatsbetrieb. 1962 wurde der Kolchos Teil des Sowchos „Tschechow“

Fritz Platten in Ungnade - Schweizer unerwünscht[Bearbeiten]

Fritz Platten fiel bei Stalin, der ab 1927 uneingeschränkter Alleinherrscher war, in Ungnade und konnte seine schützende Hand nicht mehr über seine Genossenschaft legen. Er starb nach Gefängnisaufenthalten in einem Lager an einem Herzanfall, möglicherweise wurde er aber erschossen. Ab 1930 wurden die Schweizer Auswanderer dazu angehalten, entweder wieder heim zu kehren oder als nun Staatsangestellte die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen und zugleich die Schweizer Staatsbürgerschaft abzulegen. Von insgesamt 113 Schweizer Auswanderern blieben mindestens 25 in Russland, unter ihnen Familie Hofstetter. Nur wenige überlebten den zweiten Weltkrieg, zu diesen gehörte Emilie Hofstetter.

Johannes Iwan Hofstetter[Bearbeiten]

Biographische Angaben[Bearbeiten]

  • *24.09.1892 in Speicher, im Hörli, Sohn des Johannes, Metzger und Taglöhner, von Speicher
  • Mutter: Brigitte Hofstetter, geb. Lippuner
  • (Stief-)Schwester Margareth (*1889), verheiratet mit Jakob Hermann Emil Bergen von Sax-Sennwald, wohnhaft in St. Gallen an der Spyristrasse 7, deren Tochter Margareth heiratete am 11. Mai 1935 in Grabs Paulus Gantenbein.
  • (Stief-)Schwester Brigitte Hofstetter (*1890) war Krankenschwester am Burgerspital Bern
  • Gemäss Leumundszeugnis der Gemeinde Speicher vom 18. Mai 1940 war Johannes nie in Speicher wohnhaft gewesen (wohl ab Volljährigkeit)
  • Seit Januar 1916 wohnhaft in Schaffhausen, Anstellung in den Stahlwerken (heute Georg Fischer AG)
  • Johannes heiratete am 29. Juli 1916 in St. Gallen Emilie Pfau (*17. Okt. 1894, gebürtig von Dietenberg, (Gemeinde Waldburg, Oberamt Ravensburg). Emilie Pfau war zur Zeit der Eheschliessung ledig, von Beruf Haustochter und in Friedrichshafen wohnhaft. Ihre Mutter hiess Walburga Pfau, ein Vater ist nicht genannt. (Quelle: Eheregister A St.Gallen, 1916 im Stadtarchiv St.Gallen, 1/1/1626, S. 108, Nr. 108).
  • Mitglied der Kommunistischen Partei der Schweiz1, ev. vorgängig der Sozialdemokratischen Partei.
  • 19. Juli 1919: Sohn Hans
  • Juni 1924 Auswanderung mit Frau und Kind nach Russland
  • 6. Juni 1929: Tochter Margarite (geboren in Russland)
  • 9. August 1938: Tod durch Erschiessen (Konterrevolutionär) in der Nähe von Moskau
  • 1958 rehabilitiert




Jugend in Speicher[Bearbeiten]

Johannes Hofstetter wuchs in einer Familie auf, die nicht auf Rosen gebettet war. Das Hörli liegt am Dorfrand von Speicher, der Vater war Taglöhner, meist wohl als Metzger. Seine Mutter Brigitta Lippuner brachte zwei Töchter aus erster Ehe (in Grabs) mit nach Speicher. Die beiden Stiefschwestern von Johannes waren 3, resp. 2 Jahre älter. Margareth, die ältere heiratete Emil Bergen und wohnte in St. Gallen, Brigitta, die jüngere wurde Krankenschwester und lebte in Bern. In den militärischen Akten (she. unten) wird Johannes Hofstetter als „Sticker“ aufgeführt, was allerdings kaum auf eine Ausbildung schliessen lässt. Die ärmlichen Familienverhältnisse waren damals gleichbedeutend mit Erwerbstätigkeiten schon während der Schulzeit. Er dürfte wohl als Schüler und junger Mann damals übliche Hilfstätigkeiten in der Stickerei ausgeführt haben um zum ohnehin mageren Familieneinkommen beizutragen. Wo sich Hofstetter zwischen Schulabschluss und Niederlassung in Schaffhausen aufhielt, ist nicht bekannt.

Kommunist in Schaffhausen[Bearbeiten]

Einwohnerregister Schaffhausen

15. Januar 1916: Zuzug nach Schaffhausen
4. Oktober 1916: Heimatschein in Schaffhausen abgegeben
7. Oktober 1916: Anmeldung als Ehepaar vermerkt im Niederlassungsregister Schaffhausen
20. Oktober 1916: Niederlassungsbewilligung erteilt. Die Familie wohnte an der Querstrasse 20.

Zunächst war Hofstetter Hilfsarbeiter in den Stahlwerken (heute Georg Fischer AG), später daselbst „Krahnenführer.“2 Wohl irgendwann in die Schaffhauser Zeit fällt der Beitritt zur noch jungen KPS (Kommunistische Partei der Schweiz), wahrscheinlich Sektion Neuhausen.3

Zäsur - Auswanderung nach Russland[Bearbeiten]

1. Juni (?) 1924 Auswanderung. Vermerk im Aufenthaltsregister Schaffhausen: „Am 30. August 1924 gestrichen, weil fort ohne Anzeige nach Russland. Heimatschein am 2. ? 1924 nach Speicher (Gemeinderatskanzlei) gesandt“

9. August 1938: Tod durch Erschiessen (Konterrevolutionär) in der Nähe von Moskau

Russlandzeit[Bearbeiten]

Schwierige Anfangsjahre der Landwirtschaftsbetriebe[Bearbeiten]

Die Auswanderung mit Frau und Sohn nach Russland erfolgte mit der dritten (ev. zweiten) Gruppe in die von Fritz Platten (Nationalrat, Mitgründer der Kommunistischen Partei Schweiz) gegründete Genossenschaft Tjoplovka (Simbirsk), die damit insgesamt etwa vierzig Schweizer Kommunarden umfasste. Der damals 15-jährige Sohn von Fritz Platten (aus ausserehelicher Beziehung mit Lina Chait), Georg Platten, lebte gemäss Olga V. Sventsitskaya in Tjoplovka bei Familie Hofstetter, dies lässt zumindest den Schluss zu, dass Fritz Platten ein grosses Vertrauensverhältnis zu Hofstetters hatte.4 Die Kolonie wurde aber schon nach etwas mehr als einem Jahr aufgegeben. Das neue Gut war Uvarovo im Bezirk Schebenzewo im Kreis Podol’sk, ca. 60 km südlich von Moskau. Diese neue Genossenschaft trug den Namen „Iskra“ („Funke“). Im Gründungsprotokoll sind die Namen aller Mitglieder mit Unterschrift aufgeführt, unter ihnen „Hofstetter Hans, 1892, Arbeiter“, sowie „Hofstetter Emilie, 1894, Arbeiterin“. Bereits im Frühling 1927 wurde die Genossenschaft wieder aufgegeben, da das Gut viel zu gross war für die verbliebenen, wenigen Genossenschafter.

Musterkolchose Vas’kino[Bearbeiten]

1927 Mai: Gemeinsame Übernahme des Gutes Vas’kino durch die Kommunarden aus Uvarovo und Nova Lava, der ersten Kolonie Plattens. Vas’kino liegt im Gouvernement Moskau, rund 80 km südlich von Moskau an der Bahnlinie nach Kursk. Auch für diese neue Genossenschaft gibt es eine Mitgliederliste, in der Hofstetter aufgeführt ist. Sowohl Johannes, als auch seine Frau waren als einfache Arbeiter/in tätig, möglicherweise als Aufseher in den genossenschaftlichen Landwirtschaftsbetrieben Tjoplovka, Uvarovo und Vas’kino. Hofstetter wird in einigen Dokumenten als „Tierspezialist“ bezeichnet. Am 6. Juni 1929 wurde Tochter Margaretha [Margarite] geboren.

Besuch in der Schweiz[Bearbeiten]

1931 traf die ganze Familie Hofstetter-Pfau zu Besuch in der Schweiz ein, auch Fritz Platten weilte in diesem Jahr für 6 Monate in der Schweiz. Johann, der sich jetzt Iwan nannte, kehrte im März 1931 nach Russland zurück, Frau und Kinder folgten im August nach.
Stiefschwester Brigitte Hofstetter besorgte 1937 die Verlängerung des im Jahre 1934 ausgestellten Passes bei den eidgenössischen Behörden in Bern, nachher gab es keine Kontakte mehr.

Verbannung und Tod[Bearbeiten]

Ab Dezember 1934 begannen die Stalin’schen Säuberungen, damit einher ging der schon ab 1930 eingesetzte Verlust vieler Privilegien der Siedler. Spätestens 1936 wurde der Betrieb verstaatlicht, von der IAH an den Staat übergeben.
Wohl in diesen Jahren wurde die Familie Hofstetter nach Archangelsk [Lager Lipowo?] verbannt (möglicherweise aber erst 1938 nach dem Tod von Johannes). Emilie Hofstetter arbeitete dort als Melkerin und Viehzüchterin.
9. August1938: Standrechtliche Erschiessung des Johannes wegen Konterrevolution, ein Schicksal, das von rund 1,5 Millionen Festgenommenen rund die Hälfte erlitt, darunter eben auch viele, die treue Anhänger der Sowjetunion waren.
Aus dem Lager sandte Emilie um 1940 eine Postkarte an Fritz Platten, der sich zu jener Zeit im Lager Njandoma, auch im Gebiet von Archangelsk, befand.
Hans und Margarite kamen während des Krieges und der Evakuierung um [oder wurden erschossen] Emilie Hofstetter lebte um 1970 in der Nähe von Krasnodar.

Als Verstorbener verurteilt[Bearbeiten]

Gemeindekanzlei Speicher Hofstetter.jpg

Auf Ersuchen des Untersuchungsrichters des Divisionsgerichts an die Gemeindekanzlei Speicher meldete diese mit Datum 18. Mai 1940 und in holpriger Sprache: „Laut unsern Bürgerregistern, sowie Erkundigungen beim hiesigen Zivilstandsamt haben ergeben, dass Hofstetter-Pfau Johannes, … noch am Leben ist. …“ Beigelegt ist ein Leumundszeugnis des Gemeinderats Speicher mit demselben Datum: „Hofstetter Johannes … ist… nie in Speicher wohnhaft gewesen, soweit uns bekannt in den bürgerlichen Ehren und Rechten steht und einen guten Leumund geniesst.“
Stiefschwester Margareth, verheiratet mit Emil Bergen, wohnte in Sennwald. Deshalb wurde auch dort nach dem Verbleib von Johannes nachgeforscht. Am 5.3.1940 meldete der Polizeiposten Grabs über den Sektionschef von Grabs an das Kreiskommando St. Gallen, dass das Ehepaar Bergen-Hofstetter in St. Gallen wohne und „… Hofstetter Johann, Bruder, soll sich noch in Russland, Moskau, aufhalten.“
An die Gerichtsverhandlung im Juli wurde Johannes Hofstetters Schwager Emil Bergen vorgeladen und als Zeuge befragt. Er konnte aber keine genauen Auskünfte geben, da er und seine Frau Margareth seit der Rückreise von Johannes und seiner Familie im Jahre 1934 nur noch eine Postkarte mit der Meldung der Ankunft in Russland erhalten hätten.

19400721 Urteil.jpg

So fällte das Militärgericht der 7. Division am 21. Juli 1940 [in Unkenntnis des Todes des Angeklagten im Jahre 1938] folgendes Urteil:

  • schuldig des Versäumnisses des Aktivdienstes ab 2.9.1939, gemäss Art. …
  • verurteilt „in contumaciam“ [in Abwesenheit] zu 18 Monaten Gefängnis und zu drei Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht über die Strafzeit hinaus.
  • Kosten Fr. 20.–
  • Urteil ist von A.Rh. zu vollziehen

Die Unkenntnis über den Verbleib von Johannes Hofstetter und seiner Familie hängt auch damit zusammen, dass die Schweiz seit November 1918 keine Botschaft mehr in Russland unterhielt und ihre Bürger, wenn überhaupt, von Riga aus betreute. Die konsularischen Angelegenheiten waren zwischen 1921 und 1938 dem Roten Kreuz, der IKRK-Mission in Moskau, als einer Art „verdecktem Konsulat“ übertragen.









1 In Schaffhausen wurde im Unterschied zum Rest der Schweiz bei der Parteispaltung 1920/21 die bisherige SP-Sektion in corpore zu einer KP-Sektion. Falls Hofstetter vor 1920 in die SP eingetreten sein sollte, wurde er also quasi automatisch zum KP-Mitglied. (Koller, Christian) und: Es ist anzunehmen, dass nach dem Austritt der Schaffhauser SP aus der SPS und ihrem Beitritt zur KP diejenigen, die bei der SP bleiben wollten, austreten mussten. (Knöpfli, Adrian)

2 Die Beschäftigung von zahlreichen auswärtigen Arbeitern, die häufig aus anderen Branchen stammten, trug sogar eher dazu bei, hierarchische Elemente in der Beziehung der verschiedenen Berufe und Tätigkeiten aufzulösen. Relativ qualifizierte Arbeiter (z.B. Uhrenarbeiter aus dem Jura oder Maschinensticker aus der Ostschweiz) verloren durch die Umstrukturierung der Produktion nach den Bedürfnissen des Krieges ihre Arbeitsplätze. Viele von ihnen erhielten bei GF Stellen als angelernte Maschinenarbeiter (Gewindeschneider, Schmirgler u.ä.). Die starke Ausdehnung der Produktion und der Belegschaften führte zudem zu einem Mangel an qualifizierten Berufsarbeitern, der es ungelernten Arbeitern ermöglichte, auch in Bereiche einzudringen, die sonst gelernten Arbeitern vorbehalten wurden (z.B. Maschinenformer, Kernmacher). Nach Qualifikation und Ausbildung fand somit innerhalb der Arbeiterschaft ebenfalls ein gewisser Homogenisierungsprozess statt. Die Bedingungen des Arbeitsmarktes (vor allem das Ausfallen der italienischen Arbeiter) führten zudem dazu, dass sich die relative Lohnsituation der Giessereihandlanger und Gussputzer im Vergleich zu den übrigen Arbeitern etwas verbesserte. (Ruedi Vetterli in seiner Dissertation „Industriearbeit, Arbeiterbewusstsein und gewerkschaftliche Organisation, dargestellt am Beispiel der Georg Fischer AG (1890-1930), Göttingen 1978“; S. 191)

3 Hypothese für die radikale Stellung der Schaffhauser SP. «Die in zweierlei Hinsicht jungen Parteimitglieder (Alter, Dauer der Mitgliedschaft) hatten wenig politisch-parlamentarische Erfahrung. Für sie war das Erlebnis der Kriegsjahre mit allen wirtschaftlichen Folgeerscheinungen ausschlaggebend. Sie zeigten sich dadurch leichter zugänglich für radikale Ideen, waren wenig diszipliniert durch einen straff ausgebildeten Parteiapparat, dafür aber auch umso mehr als politischer Flugsand anzusehen, der sich sofort wieder verflüchtigte, sobald die drückendste Notlage (und unmittelbarste Ursache für den Parteibeitritt) behoben war. (Ott, Bernhard: Die Schaffhauser Arbeiterbewegung in der Zwischenkriegszeit (1918-1936). Zwischen Revolution und Reform. Zürich 1978.)

4 Maria Kachalina in „Nasha Gazetta“, „Auf den Spuren der Schweizer Kommunarden“, 2014

Quellen:[Bearbeiten]

Schweizerisches Bundesarchiv, Gerichtsakten Militärgericht: CH-BAR#E5330-01#1975-95#5033
Barbara Schneider: Schweizer Auswanderer in der Sowjetunion, 1985, Schaffhauser AZ; ISBN 3 908609 01 1
Auswanderungsbuch, Verzeichnis Russland, Stand März 1936, Schweizerisches Bundesarchiv, E2015#1000/129#278
Maria Kachalina, „Auf den Spuren der Schweizer Kommunarden“, Nasha Gazeta 2014 (in russischer Sprache)
O. V. Sventsitskaya. Schweizer Gemeinden im Heimatland von V.I. Lenin // Geschichte der UdSSR, Nr. 2, 1970 (in russischer Sprache) und in „Vorwaerts“ vom 3. 1. 1980
Schweizerisches Sozialarchiv div. Bestände (Online und Papier) zu Stichwort "Russland"; u.a. Moskau retour
Zivilstandsamt Mittelland AR: ZFR-11-B03-1336, Familienblatt Hofstetter (Vater)
Stadtarchiv Schaffhausen: Dokumente Niederlassung, Einwohnerregister
Universität Basel, Nachlass Fritz Platten: NL 340, 2005,03H
Franz Dübi in „Vorwaerts“ [Parteizeitung der Partei der Arbeit PdA] vom 4. 3. 1982 und 27. 2. 1986; [Franz Dübi war führendes Mitglied der PdA]
Ortsmuseum Dietikon: Fragebogen für Kommunarden; PDF Neujahrsblatt 1988 (Buch von Barbara Schneider, she. oben)


Weiterführende Literatur[Bearbeiten]

Eveline Hasler: Tochter des Geldes: Mentona Moser – die reichste Revolutionärin Europas. Roman eines Lebens. Nagel & Kimche, Zürich 2019
Lukas Hartmann: Ins Unbekannte. Die Geschichte von Sabina und Fritz. Roman. Diogenes 2022


Text: Peter Abegglen, September 2022