Galeerensklave Enz Schittli

Aus WikiSpeicher

Heidi Eisenhut, Leiterin der Kantonsbibliothek AR, rief in der Ausgabe der Appenzeller Zeitung vom 11. März 2022 in der Kolumne „Brosmete“ das Schicksal Enz (Lorenz) Schittlis in Erinnerung:

Aus dem «Verzeichnis der Abgestorbenen» im Kirchenbuch von Speicher der Jahre 1715–1771 hatte Pfarrer Gabriel Walser Buch zu führen über das Kommen und Gehen der Menschen in seiner Gemeinde – und über das «Copuliren», das Heiraten.

Kirchenbuch Speicher 1715-1771.jpg

Die meisten Einträge im Totenverzeichnis sind kurz: «24. [Decem]ber, Cathrina, Herman Lankers eh[e]l[iches] Kind, 1 J[ahr] 12 W[ochen].» Wenige sind mehrzeilig, mit Angaben über die Todesursache, einen ungewöhnlichen Sterbensort oder Vermächtnisse. Einer aber ragt heraus, weil er einen Drittel einer Seite füllt. Er erzählt die Lebensgeschichte von Enz Schittli.
Als 13-jähriger Knabe hatte Schittli venezianische Kriegsdienste angenommen. Nach knapp zwei Jahren «wurde er von Türken gefangen und mußte 20 Jahr und 7 Monath als Sclav dienen under vilen außgestandenen Gefahren». Er war Ruderer auf einer Galeere und überlebte zweimal einen Blitzschlag auf See. Die Winter hatte er in Gefängnissen levantinischer Küstenstädte durchzustehen. Und dann gelang ihm die Flucht! Gabriel Walser schreibt: «1719 sprang er mit 6 Sclaven in einen Boot, und schiffeten 3 Tag lang ohne einig Speiß und Tranck zu genießen auf dem wilden Meer herumb, bis sie endlich in Levante durch Gödtliche Vorsehung ein Venetianisch Schiff angetroffen, auf deme sie nach Venedig gekommen: hierauff kam er glüklich nacher Hauß.»
Der Kirchenbucheintrag schliesst mit dem Vermerk, dass Schittli fünfzigjährig, am 5. April 1724, zum ersten Mal das Abendmahl nahm, am 12. April heiratete und am 3. Januar 1725 zu Grabe getragen wurde.
Dieses Schicksal berührt noch heute. Gabriel Walser gibt mit seiner Notiz einem Menschen, der keine schriftlichen Spuren hinterliess und doch für viele stellvertretend steht, eine Stimme. Und er regt – zeitüberdauernd – zum Nachdenken an.
Soweit Heidi Eisenhut in der Kolumne „Brosmete“

Lösegeld für Appenzeller Sklaven[Bearbeiten]

Auch viele Jahre nach Enz Schittli fielen Schweizer Söldner in Gefangenschaft und Sklaverei, wie aus der Rechsteinerchronik von 1810 indirekt zu erfahren ist:
Am 22. Juni 1801 wurde von der helvetischen Regierung für Appenzell Ausserrhoden ein „Steuereinzug“ verordnet, um ein Lösegeld für Schweizer Sklaven, unter ihnen zwei Ausserrhoder, in Algier zu bezahlen. Die Steuer reichte nicht aus, so dass im Januar 1805 nochmals gesammelt wurde. Insgesamt kamen im Kanton knapp 2000 Gulden zusammen, gefordert waren insgesamt 6000 Gulden.
1806 kamen die Sklaven ohne Lösegeldzahlung frei, möglicherweise eine Folge des 1805 geschlossenen Friedensvertrags nach dem 1. Barbareskerkrieg. Den beiden zurück gekehrten Ausserrhodern wurden je 200 Gulden aus der Sammlung übergeben. Der Rest wurde teils zugunsten zurück gekehrter Sklaven in andere Kantone überwiesen, teils für Brandgschädigte in angrenzenden Kantonen vermacht.

Ende des Piratentums im Mittelmeer[Bearbeiten]

Die Piraterie im Mittelmeerraum hat eine lange Tradition. Ziel der Seeräuber waren nicht nur Güter, die in Handelsschiffen transportiert wurden, sondern ebensosehr die Mannschaften, die als Sklaven Galeerendienst zu leisten hatten. Die Galeerenstrafe wurde häufig als Alternative zur Todesstrafe angewandt, Galeerensträflinge galten als Handelsware. Oft wurde mit den Gefangenen auch Lösegeld in ihren Herkunftsländern erpresst. Erst mit dem ersten Barbareskenkrieg und kurz danach mit der Eroberung Algiers durch die Franzosen um 1830 wurde das Seeräubertum beendet und es begann die Kolonialherrschaft Frankreichs über die nordafrikanische Küste.